Uebersicht der polilischen Enkwichrlung des Jahres 1883. 4111
land war überzeugt, daß Deutschland die Dienste, die ihm Nußland
zur Zeit des deutsch-französischen Krieges geleistet, bei dieser Gelegen-
heit nicht wett gemacht habe. Selbst wenn aber das wirklich der
Fall gewesen wäre, so waren die Zettelungen mit Frankreich doch
ein entschiedener Mißgriff. Fürst Gortschaloff kam damit dem
deutschen Neichskanzler gegenüber auch durchaus an den Unrechten
und fand in ihm bald seinen überlegenen Meister. Mit derselben
klaren Einsicht in die europäische Sachlage und mit derfelben raschen
Energie wie in den Jahren 1866 und 1870 ergriff dieser die Ge-
legenheit und vollgog den von ihm längst ins Auge gefaßten und
sorgfältig vorbereiteten großen Schachzug einer Aussöhnung und einer
Allianz mit Oesterreich-Ungarn, die sich binnen kurzem zur domi-
nierenden Potenz in Europa emporschwang. Rußland spürte es und
sehr empfindlich: nicht allein hatte das Bündnis der beiden mittel-
europäischen Mächte auch eine Spitze gegen Rußland; was fast noch
mehr war, die Resultate des Berliner Kongresses erhielten dadurch
eine Gewähr, die sie ohne dasselbe entschieden nicht gehabt hätten.
Rußland wurde, auch als Gortschakoff seinen früheren Einfluß ver-
lor, in ein zwar nicht gerade feindliches, aber doch gründlich un-
freundliches Verhältnis zu Dentschland gedrängt, in das es sich mehr
und mehr verbiß und das dem europäischen Frieden wiederholt ge-
fährlich zu werden drohte. Die Garnisonen an der Grenze gegen
Deutschland wurden auffallend verstärkt und allmählich in den ruse
sischen Provinzen längs der deutschen und österreichischen Grenze eine
solche Militärmacht, namentlich solche Kavalleriemassen angehäuft,
daß man es kaum anders, denn als Vorbereitungen zu einem even-
tuellen Kriege ansehen konnte. Die russische Regierung ließ es dem
General Skobeleff und anderen aktiven Generälen hingehen, daß sie
öffentlich und wiederholt einem geradezu glühenden Hasse gegen
Deutschland und alles deutsche Wesen einen leidenschaftlichen Aus-
druck gaben. Die russische Presse, deren Haltung doch wesentlich in
der Hand der Regierung liegt und von ihr abhängig ist, sprach
ohne Schen und häufig ohne jeden Nückhalt ihre tiefe Abneigung
gegen Deutschland aus und schien darin nur der allgemeinen
Stimmung zu entsprechen. Die Chancen eines Krieges mit Deutsch-
land wurden in Broschüren und Zeitungsblättern offen erörtert.
Der Panflavismus schoß ins Korn und wurde zu einer Macht, mit
der selbst die Regierung rechnen zu müssen schien. Die öffentliche
Meinung in Frankreich faßte alle diese Vorgänge mit Gier auf und der