Uebersicht der polilischen Enlwicheluug des Jahrts 1883. 461
Schlagkraft verlieren. In dieser Beziehung hat die russische Polilik
den europäischen Mächten gegenüber durch unvordenkliche Verjährung
eine Art Privilegium erworben, auch in Zeiten des tiefsten Friedens
den Stand der Dinge im Oslen zu untergraben und sich das Feld
für künftige Ereignisse vorbereiten zu dürfen. Die Sache ist nun
einmal hergebracht und wird von der europäischen Diplomatie, be-
sonders von den zunächst interessierten Großmächten, scharf beob-
achtet; offiziell aber ist es Stil, so zu thun, als liege durchaus
nichts Bedenkliches vor, um wenigstens äußerlich die gegenseitig
engste Frenndschaft zu pflegen.
Am entgegengesetzten Ende Europa's hat Spanien im Laufe panien.
des Jahres durch die Erlebnisse seines Königs in Frankreich und
seine Beziehungen zu Deutschland mehr als in den letzten Jahren
von sich reden gemacht. Gegenüber Frankreich ist es in einer
schwierigen Stellung. Als romanische und Mittelmeermacht muß es
sich ihm mehr oder weniger anschließen, ist wenigstens auf ein
gutes Verhältnis zu demselben angewiesen, zumal es sein Auge
fest auf Marocco gerichtet hält; so lange jedoch in Spanien eine
starke republikanische Partei eristiert, die sich auf Frankreich stützt
und von dort aus unterstützt wird, hat das Einverständnis mit
der Nachbarrepublik seine begreiflichen Schranken. Spaniens Auf-
gabe ist zunächst eine durchaus innere und sein Plan eines Ein-
tritts in die Zahl der Großmächte ist jedenfalls noch verfrüht.
Die fkandinavischen Staaten endlich, wenigstens Norwegen und S#awi-
Dänemark, haben mit einer intensiven Bewegung zu kämpfen, die navien.
demokralisch und in ihrem Kern sogar republikanisch, aber nicht
wie sonst fast überall doktrinär und wesentlich abstrakt ist, sondern
sich auf die realen bäunerlichen Elemente und Verhältnisse stützt.
Zu einer Entscheidung ist es inzwischen im Jahre 1883 noch nicht
gekommen. Sollte aber der König von Schweden und Norwegen
dem Andrängen des norwegischen Storthings schließlich nachgeben
müssen, was nicht unmöglich ist, so würde wohl auch der König
von Dänemark seinem Folkething nicht allzu lange mehr stand zu
halten vermögen.