Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 18- 20.) 13
18.—20. Jannar. (Deutsches Reich.) Reichstag: nimmt
einstimmig den Antrag auf künftige Anwendung eigens gelieferter
Konverts bei den Reichstagswahlen, behufs möglichster Freiheit von
jeder Wahlbeeinflussung, an, obgleich zunächst eine Zunahme sozial-
demokratischer Stimmen wahrscheinlich ist.
Die polnische Fraktion bringt den Antrag ein, die polnische
Sprache als Unterrichtssprache in den Elementarschulen der Provinzen
Posen und Westpreußen wieder einzuführen. Derselbe Antrag war
1875 von den Polen gestellt, vom ultramontanen Zentrum unterstützt,
von der Regierung bekämpft und vom Hause abgelehnt worden.
Der Antrag Wedell auf prozentnale Besteuerung der Börsen-
geschäfte wird nach einläßlicher Debatte an eine Kommission von
18 Mitgliedern gewiesen.
Nach der Debatte hat der Antrag wenigstens in seiner jetzigen Ge-
stalt keinerlei Aussicht auf Annahme und auch die Kommission wird kaum
ein Mittel finden, das eigentliche Börsenspiel zu treffen, ohne dem reellen
Börsengeschäft zu nahe zu treten. Büsing gibt zu, daß bei Zeitgeschäften
viel Mißbrauch vorkomme, im ganzen aber seien dieselben besser ale ihr Ruf
und für den Welthandel unentbehrlich. Bei gesetzgeberischen Akten dürfte
man sich nicht bloß von Rücksichten auf die Schattenseiten der Börse leiten
lassen, und darüber die eminente soziale und volkswirtschaftliche Bedeutung
dieses Instituts verkennen. Die internationale Bedeutung der Berliner Börse
werde unter dem Antrage, wenn er angenommen würde, schwer leiden. Das
Ausland könne heute. schon ohne Mitwirkung der Berliner Börse keine An-
leihe aufnehmen. Dieser Verkehr werde aber erschwert oder aus ausgeschlossen,
wenn man die Berliner Börse mit der Fessel des Antrages an der freien
Bewegung hindere. Eine große Schwierigkeit für eine richtige Lösung der
ohnehin schwierigen Frage liegt jedenfalls darin, daß ganze Fraktionen sich
mehr oder weniger als der Ausdruck bestimmter materieller Interessen dar-
stellen. Denn wie die konservative Partei sich vielfach von agrarischen Teu-
denzen gegen die Börse leiten läßt, so das andere Extrem von absoluten
Freihandelsinteressen zu Gunsten der Börse. Der segessionistische Vertreter
von Halle, Dr. Alex. Meyer, gesieht das beinahe offen zu, indem er im
Namen der Börsenkenner die Aufforderung zur „Angabe der Mittel für eine
richlige Treffung des Börsengeschäftes ablehnt. Die betreffende Aufforderung
hatte der sozialdemokratische Abg. Kaiser gestellt und sie ist vielleicht das
Schlagendste der ganzen Debatte. Für die sozialdemokratische Fraktion geht
Kaiser indes viel weiter. „Es freut mich, meint er, daß man an eine Um-
kehr gedacht hat und in der Bekämpfung der Börse sagar- soweit gegangen
ist, daß ein konservativer Wahlaufruf zu Neusalz .a d O. sagen konnte:
Man solle den Rothschilds und Bleichröders das Kapital wegnehmen und
ihnen nur die Rente lassen. Ja, meine Herren, dann müßte auch die Fort-
setzung folgen, dann müßte auch das Verlangen hervortreten, das Vermögen
der Hatzfeldt und Ratibor, der Stumm und Minnigerode zu konfiszieren zu
Gunsten der Sozialdemokraten!“ übrigens stimmen auch die Sozialdemokraten
für den Antrag, obwohl er (was ihnen sehr sympathisch ist) gegen das große
Kapital gerichtet ist, nicht, weil sie dem jetzigen Regierungs- system grundsätzlich
keine Steuern bewilligen wollen. Alles in allem wird die Börsenstener, wie
sie die Agrarier geplant, nicht zur Ausführung kommen. Die schlimmste