Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

26 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 15— 16.) 
15. Februar. (Deutsches Reich.) Bundesrat: die Aus- 
schüsse desselben vertagen die Veratung der Briefmarkenfrage nach 
einer vorläufigen Erörterung über eine etwa mögliche Verständigung 
zwischen den beteiligten Postverwaltungen, da sowohl Bayern als 
Württemberg ganz und gar keine Lust haben, auf ihr Reservatrecht 
weder direkt noch indirekt zu verzichten. 
16. Februar. (Deutsches Reich.) Eine von Reichstags- 
abgeordneten der Mittelparteien berufene Versammlung, an der sich 
ca. 300 angesehene Männer, worunter zahlreiche Abgeordnete, be- 
teiligen, beschließt eine Resolution gegen die in dem von der unga- 
rischen Regierung dem Reichstage vorgelegten Mittelschul-Gesetz- 
entwurfe angestrebte Magyarisierung des siebenbürgischen Sachsen- 
landes. 
In lebhafter Debatte beklagen die Redner, welche meist die Verhält- 
nisse und die gegenwärtigen Zustände Ungarns aus eigener Anschauung kennen, 
daß die von Deak, Szechenyl. Gölvös u. a. vertretene deutschfreundliche Ge- 
sinnung von der entgegengesetzten, ursprünglich von Kossuth ausgegangenen, 
Richtung verdrängt worden sei: das gewaltsame, keine andere Rücksicht als 
die eigene politische Herrschaft kennende Verfahren müsse die Feindseligkeit 
der Nationalitäten schüren und den Verfall des Landes vorbereiten, dessen 
wirtschaftliche Verhältnisse ohnehin unter der gegenwärtigen Komitatewirt- 
schaft sehr herabgekommen seien. Die Resolution lautet: „Der aufs neue 
dem ungarischen Reichstage vorgelegte Entwurf eines Mittelschul-Gesetzes be- 
droht die siebenhundertjährige deutsche Kultur des siebenbürger Sachsenstammes 
mit dem Untergange. Im Widerspruchs mit den feierlichsten und zweifel- 
losesten Bestimmungen derjenigen Grundgesetze, auf welchen allein die neuer- 
liche staatsrechtliche Einverleibung Siebenbürgens und insbesondere des Sachsen- 
landes in den Gesamtverband der ungarischen Monarchie beruht, im flagranten 
Widerspruche mit dem Nationalitätengesetze, welches die Gleichberechtigung der 
Sprachen, vornehmlich auch im Unterrichte, garantiert, verfolgt dieser Gesetz- 
entwurf. Und in seiner gegenwärtigen Fassung noch rücksichtsloser als zu- 
das Ziel, den deutschen Unterricht durch Magyarisierung des gesamten 
Lehrerstandes zu Grunde zu richten. Er trifft nach zahllosen in gesetzlicher 
und administrativer Form erfolgten ungeheuerlichen Vergewaltigungen das 
Herz des siebenbürger Deutschtums. Er ist die schneidigste und unverhüllteste 
Kriegserklärung, welche bisher in dem vielsprachigen Lande wider Hundert- 
tausende von treuen Unterthanen deutscher Nationalität gewagt worden ist. 
Seine Verwirklichung, indem sie die vielhundertjährige Gemeinschaft der sieben- 
bürger Sachsen mit der wissenschaftlichen Bildung des Mutterlandes zer- 
schneidet, reißt zugleich eine unausfüllbare Kluft zwischen der deutschen und 
der magyarischen Nation. Das deutsche Mutterland, welches mit der öster- 
reichisch-ungarischen Monarchie in Freundschaft leben will, muß daher immer 
lauter den Warnungsruf erheben, welchen auch mächtigere Völker nicht ohne 
Gefahr überhören.“ 
16. Februar. (Preußen.) Das Komité für die Jubelfeier 
der silbernen Hochzeit des Kronprinzenpaares überreicht demselben 
die Summe von 820,000 .“M, welche zu wohlthätigen Zwecken ge- 
sammelt, nunmehr zur Verfügung des Kronprinzen gestellt werden.