60 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 14.)
besonderer Aufmerksamkeit folgend und zu jeder möglichen Erleichterung der-
selben gern die Hand bietend, an dem Wunsche wie an der Hoffnung fest-
gehalten, daß die Session des Reichstags nicht zu Ende gehen werde, ohne
daß jene Vorlagen in einer ihrem Zwecke entsprechenden, ihre Ziele sichern-
den und ihre Sanktion als Gesetze ermöglichenden Gestalt zur Annahme ge-
langen. Wir haben auch mit Anerkennung und Befriedigung gesehen, wie
die ernste Arbeit, welche der Beratung des Krankenkassengesetzes gewidmet
worden ist, diesen Teil der Gesamtausgabe bereits soweit gefördert hat, daß
in Bezug auf ihn die Erfüllung Unserer Erwartungen kaum mehr zweifelhaft
erscheint. Mit Sorge aber erfüllt es Uns, daß die prinzipiell wichtigere Vor-
lage über die Unfalluersicherung bisher nicht weiter gefördert worden ist und
daß daher auf deren baldige Durchberatung nicht mit gleicher Sicherheit
gerechnet werden kann. Bliebe diese Vorlage jetzt unerledigt, so würde
auch die Hoffnung, daß in der nächsten Session eine weitere Vorlage wegen
der Alters= und Invalidenversorgung zur gesetzlichen Verabschiedung gebracht
werden könnte, völlig schwinden, wenn die Beratung des Reichshaushaltsetats
für 1884.85 die Zeit und Kraft des Reichstages noch während der Winter-
session in Anspruch nehmen müßte. Mir haben es deshalb für geboten er-
achtet, die Zustimmung der verbündeten Regierungen dahin zu beantragen,
daß der Entwurf des Reichshaushaltsetats für 1884/85 dem Reichslage jetzt
schon zur Beschlußnahme vorgelegt werde. Wenn dann die Vorlage über die
Unfallversicherung. wie nach dem Stande ihrer Bearbeitung zu befürchten
steht, im Laufe der Frühjahrssession vom Reichstag nicht mehr beraten und
festgestellt wird, so würde durch die vorgängige Beratung des nächstsährigen
Etats wenigstens für die Wintersession diejenige Freiheit von andern unauf-
schieblichen Geschäften gewonnen werden, welche erforderlich ist, um wirksame
Reformen auf sozialpolitischem Gebiete zur Reise zu bringen. Die dazu er-
forderliche Zeit ist eine lange für die Empfindungen, mit welchen Wir in
Unserm Lebensalter auf die Größe der Aufgaben blicken, welche zu lösen sind,
ehe Unsere in der Botschaft vom 17. November 1881 ausge- sprochenen In=
tentionen eine praktische Bethätigung auch nur soweit erhalten, daß sie bei
den Beteiligten volles Verständnis und infolge dessen auch volles Vertrauen
finden. Unsere kaiserlichen Pflichten gebieten Uns aber, kein in Unserer
Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die Besserung der Lage der Arbeiter
und den Frieden der Berufsklassen untereinander zu fördern, solange Gott
Uns Frist gibt, zu wirken. Darum wollen Wir dem Reichstage durch diese
Unsere Botschaft von neuem und in vertrauensvoller Aurufung seines be-
währten treuen Sinnes für Kaiser und Reich die baldige Erledigung der
hierin bezeichneten wichtigen Vorlagen dringend ans Herz legen.“
Keine Partei bestreitet die meritorische Berechtigung der kaiserlichen
Mahnung; dagegen erhebt die Fortschrittspartei formale Bedenken gegen die
mit ihr beabsichtigte Einwirkung des Reichsoberhauptes auf die Geschäfts-
behandlung des Reichstags und regt innerhalb der liberalen Gruppen die
Frage an, diese Bedenken gegen das vom Reichskanzler gegengezeichnete und
also auch zu vertretende Aktenstück durch eine Adreßdebatte zum Ausdruck zu
bringen, scheitert aber an dem Widerspruch der nationalliberalen Partei.
14. April. (Bayern.) Die Prinzessin Isabella von Bayern,
Tochter des verstorbenen Prinzen Adalbert, vermählt sich mit dem
Herzog Thomas von Savoyen, Bruder der Königin von Italien.
Die dadurch eingegangene neue Verbindung zwischen den Häusern
Wittelsbach und Savoyen hat auch eine politische Bedeutung und
zwar in mehrfacher Beziehung. In Jtalien ist sie als ein neues