Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 18.) 73 
in das Plenum kommen könnte, damit die Nation und die Wähler in ihr 
erkennen, wie die einzelnen Parteien und Abgeordneten — und die Herren 
würden ja sicher den Mut ihrer Meinungen haben — zu dieser Frage stehen. 
Was die von Herrn Bamberger befürchteten Nasenstüber anlange, so sehe 
die politischen Beziehungen Deutschlands doch von einem sehr be- 
schränkten und kleinlichen Standpunkte an. Um solche Nasenstüber gebührend 
zu erwidern, brauche die deutsche Flotte nicht großer zu sein. Nehme man 
an, daß Frankreich uns in der gedachten Weise fern von Europa zu nahe 
getreten sei, so liege bekanntlich Frankreich vor den Ausfallthoren von Metz, 
und wir würden gegebenenfalls durchaus in der Lage sein, die von Herrn 
Bamberger entbehrte Genugthuung uns zu nehmen. Oder man denke sich 
einen ähnlichen Zusammenstoß mit England, wobei er in Ergänzung des 
früher Gesagten die erfreuliche Mitteilung machen wolle, daß als Novissimum 
in der Angra Pequenna-Angelegenheit gestern vom englischen Ministerium die 
Erklärung eingelaufen sei, daß weder sie noch die Kapkolonie auf jenen Ge- 
bietsstrich Anspruch erhebe und dadurch den deutschen Wünschen durchaus 
entgegenkomme; — aber angenommen, wir hätten einen solchen Handel mit 
England, so sel doch zu bedenken, daß Deutschland in der Welt einigen Ein- 
fluß besitze. So spiele augenblicklich die ägyptische Frage, und schon in 
dieser verhältnismäßig unbedeutenden Sache lege England auf die Unter- 
stützung und Freundschaft Deutschlands das größte  Gewicht; wie viel mehr 
werde die englische Politik in andern wichtigern Fragen die deutsche Bundesge- 
nossenschaft oder umgekehrt Deutschland als Bundesgenossen der Gegner 
Englands in Rechnung zu stellen wissen! Herrn Bambergers Besorgnisse seien 
deshalb sehr kurzgsichtig. Fürst Bismarck wiederholte nochmals, daß die 
Dampfervorlage, welche durchaus nicht den von den Vorrednern angenom- 
menen unfreundlichen Charakter gegen die bestehenden deutschen Dampfschiff- 
unternehmungen trage, mit seiner ganzen aus- wärtigen Polilik im Zusammen- 
hang stehe und ihre Ablehnung ihn schwer entmutigen würde. Als dritter 
im Bunde gesellte sich zu den Herren Bamberger und Rickert noch Eugen 
Richter, der sowohl die Vorlage als das Vorgehen in Angra Pequenna be- 
kämpfte, sich nicht scheute, wie er sagte, offen zu erklären, daß seine ganze 
Partei gegen die Vorlage stimmen werde, und scharfe Angriffe dagegen 
richtete, daß, während man für die dringendsten Bedürfnisse im Innern kein 
Geld habe, viele Millionen in der vorgeschlagenen Weise unnötig und nutz- 
los weggeworfen werden sollten. Auch diesem Gegner anwortete sogleich der 
Reichskanzler: Wenn man bei jeder Ausgabe ähnlicher Art, welche den 
nationalen Handel und Verkehr fördern solle, zuerst fragen wollie, wie viele 
Schullehrer oder Postsekretäre davon Zulagen bekommen könnten, so sei aller- 
dings eine Großstaatpolitik unmöglich. Aus dieser dritten Rede mag noch 
hervorgehoben werden, daß Fürst Bismarck dem jetzigen Bamberger einen 
frühern Bamberger gegenüberstellte, der in den ersten Jahren des wieder er- 
richteten Reiches des Reichskanzlers Anwendung des civis Romanus sum auf 
die Reichsangehörigen im Auslande begeistert gegen andere Angreifer und 
Anzweifler verteidigte. Nach dem Weggange des Reichskanzlers gegen 10 3/4 Uhr, 
welchen derselbe mit der Erklärung entschuldigte, daß er schon durch sein 
Erscheinen gegen die ärztlichen Vorschriften gesündigt habe, kam noch wieder- 
holt Bamberger und namentlich auch der Abgeordnete Dr. Windthorst zu 
Wort. Von den „Konservativen sprach Dr. Frege, für die Regierung wiederholt 
Dr. Stephan. Das Ende war, daß eine halbe Stunde vor Mitternacht die 
aus Deutschfreisinnigen und Zentrum bestehende Mehrheit gegen National- 
Liberale und Konservative die nächste Kommissionssitzung auf Freitag  abend 
ansetzte, was thatsächlich das Begräbnis der Vorlage für diesen Reichstag 
bedeutet. Windthorst hatte mit allerlei „Wenn und Aber“ diesen Antrag