Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 18.) 73
in das Plenum kommen könnte, damit die Nation und die Wähler in ihr
erkennen, wie die einzelnen Parteien und Abgeordneten — und die Herren
würden ja sicher den Mut ihrer Meinungen haben — zu dieser Frage stehen.
Was die von Herrn Bamberger befürchteten Nasenstüber anlange, so sehe
die politischen Beziehungen Deutschlands doch von einem sehr be-
schränkten und kleinlichen Standpunkte an. Um solche Nasenstüber gebührend
zu erwidern, brauche die deutsche Flotte nicht großer zu sein. Nehme man
an, daß Frankreich uns in der gedachten Weise fern von Europa zu nahe
getreten sei, so liege bekanntlich Frankreich vor den Ausfallthoren von Metz,
und wir würden gegebenenfalls durchaus in der Lage sein, die von Herrn
Bamberger entbehrte Genugthuung uns zu nehmen. Oder man denke sich
einen ähnlichen Zusammenstoß mit England, wobei er in Ergänzung des
früher Gesagten die erfreuliche Mitteilung machen wolle, daß als Novissimum
in der Angra Pequenna-Angelegenheit gestern vom englischen Ministerium die
Erklärung eingelaufen sei, daß weder sie noch die Kapkolonie auf jenen Ge-
bietsstrich Anspruch erhebe und dadurch den deutschen Wünschen durchaus
entgegenkomme; — aber angenommen, wir hätten einen solchen Handel mit
England, so sel doch zu bedenken, daß Deutschland in der Welt einigen Ein-
fluß besitze. So spiele augenblicklich die ägyptische Frage, und schon in
dieser verhältnismäßig unbedeutenden Sache lege England auf die Unter-
stützung und Freundschaft Deutschlands das größte Gewicht; wie viel mehr
werde die englische Politik in andern wichtigern Fragen die deutsche Bundesge-
nossenschaft oder umgekehrt Deutschland als Bundesgenossen der Gegner
Englands in Rechnung zu stellen wissen! Herrn Bambergers Besorgnisse seien
deshalb sehr kurzgsichtig. Fürst Bismarck wiederholte nochmals, daß die
Dampfervorlage, welche durchaus nicht den von den Vorrednern angenom-
menen unfreundlichen Charakter gegen die bestehenden deutschen Dampfschiff-
unternehmungen trage, mit seiner ganzen aus- wärtigen Polilik im Zusammen-
hang stehe und ihre Ablehnung ihn schwer entmutigen würde. Als dritter
im Bunde gesellte sich zu den Herren Bamberger und Rickert noch Eugen
Richter, der sowohl die Vorlage als das Vorgehen in Angra Pequenna be-
kämpfte, sich nicht scheute, wie er sagte, offen zu erklären, daß seine ganze
Partei gegen die Vorlage stimmen werde, und scharfe Angriffe dagegen
richtete, daß, während man für die dringendsten Bedürfnisse im Innern kein
Geld habe, viele Millionen in der vorgeschlagenen Weise unnötig und nutz-
los weggeworfen werden sollten. Auch diesem Gegner anwortete sogleich der
Reichskanzler: Wenn man bei jeder Ausgabe ähnlicher Art, welche den
nationalen Handel und Verkehr fördern solle, zuerst fragen wollie, wie viele
Schullehrer oder Postsekretäre davon Zulagen bekommen könnten, so sei aller-
dings eine Großstaatpolitik unmöglich. Aus dieser dritten Rede mag noch
hervorgehoben werden, daß Fürst Bismarck dem jetzigen Bamberger einen
frühern Bamberger gegenüberstellte, der in den ersten Jahren des wieder er-
richteten Reiches des Reichskanzlers Anwendung des civis Romanus sum auf
die Reichsangehörigen im Auslande begeistert gegen andere Angreifer und
Anzweifler verteidigte. Nach dem Weggange des Reichskanzlers gegen 10 3/4 Uhr,
welchen derselbe mit der Erklärung entschuldigte, daß er schon durch sein
Erscheinen gegen die ärztlichen Vorschriften gesündigt habe, kam noch wieder-
holt Bamberger und namentlich auch der Abgeordnete Dr. Windthorst zu
Wort. Von den „Konservativen sprach Dr. Frege, für die Regierung wiederholt
Dr. Stephan. Das Ende war, daß eine halbe Stunde vor Mitternacht die
aus Deutschfreisinnigen und Zentrum bestehende Mehrheit gegen National-
Liberale und Konservative die nächste Kommissionssitzung auf Freitag abend
ansetzte, was thatsächlich das Begräbnis der Vorlage für diesen Reichstag
bedeutet. Windthorst hatte mit allerlei „Wenn und Aber“ diesen Antrag