110 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 28.)
schweig etc., vermache: 1) Sr. k. Hoheit dem Herzoge von Cumberland meine
Schlösser im Herzogtum Braunschweig und zu Hietzing, sowie mein gesamtes
Barvermögen. 2) Sr. Maj. dem König Albert von Sachsen meine Allodial-
güter in Schlesien. 3) Der Frau von Hodenberg 50,000 Thaler, dem
Sohne" — — hier ist die erste Seite des Briefbogens zu Ende, die zweite
Seite ist leer, dann geht es auf der dritten Seite weiter: „4) Dem Kammer-
präsidenten v. Hantelmann 20,000 Thaler. 5) Den beiden Kammerdienern
Hanke und Voituret jedem 10,000 Thaler. Die Beamten meines Hofes zu
bedenken, bleibt dem Ermessen des Herzogs von Cumberland überlassen."
Das ist Alles. Allgemein hatte man eine reiche Zuwendung für Stadt und
Land erwartet, Legate für die milden Stiftungen, die Sicherstellung der Hof-
beamten als selbstverständlich angenommen; nichts von alle dem ist geschehen.
Die Enttäuschung ist groß und bitter. Ein ganz außerordentlicher Umschlag
der Stimmmg hat stattgefunden. Der verstorbene Justizminister Trieps, der
Vater des „Regentschaftsgesetzes, hatte für den Herzog auch ein Testament auf-
gesetzt. Dasselbe scheint jedoch verschwunden zu sein, während das jetzige
sorgfältig in einer Blechkapsel aufbewahrt war, zu welcher das Gericht den
Schlüssel hatte. Acht Tage lang seit der Eröffnung, bis zum Tage nach
dem Begräbnis, ist das Geheimnis dieses Testaments sorgfältig gewahrt worden.
28. Okt. (Deutsches Reich.) Der Bevollmächtigte des
Kaisers stellt durch Vertrag mit dem Kapitän Joseph Fredricks auch
Bethanien in Südafrika, sowie das von Fredricks schon 1883 an
das Bremer Haus Lüderitz in Angra Pequenna (zwischen dem 20 Grad
südl. Br. und dem Oranjefluß gelegene und sich 20 Meilen land-
einwärts erstreckende) abgetretene Küstengebiet seines Landes unter
deutsche Schutzherrlichkeit und Oberhoheit.
28. Okt. (Deutsches Reich.) Allgemeine Wahlen zum
Reichstag für die nächsten drei Jahre. Obgleich die große Anzahl
von Stichwahlen ein definitives Resultat noch nicht ergibt, so ist es
vorerst doch wahrscheinlich und vielleicht sogar mehr als wahr-
scheinlich, daß das ultramontane Zentrum seine dominierende Stel-
lung auch im neuen Reichstage behaupten wird, da dessen Zusam-
mensetzung ihm gestatten wird, nach Belieben entweder mit den
Konservativen für oder mit den Radikalen gegen die Regierung den
Ausschlag zu geben. Im übrigen liegen die wichtigsten Charakter-
züge der Wahlen darin, daß die Sozialdemokratie gewaltig ange-
wachsen ist und daß die deutsche freisinnige Partei zwar eine schwere
Niederlage erlitten, daß dagegen die nationalliberale Partei ihrer-
seits gegen Erwartung doch nur wenig neue Sitze errungen hat;
der Unterschied ist teils den Konfervativen zugute gekommen, teils
hängt er vom Ausfall der Stichwahlen ab.
Nachdem sämmtliche Wahlresultate offiziell bekannt geworden, befinden
sich darunter nach der amtlichen Parteibezeichnung 69 Konservative, 95 vom
Centrum, 24 von der Reichspartei, 35 Nationalliberale, 31 Deutsch- Frei-
sinnige, Sozialisten, 16 Polen, 14 Elsässer, 8 Volksparteiler und 5 Welfen.
Die Anzahl der Stichwahlen beträgt 97.