Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

476 Uebersicht der politischen Eutwickelung deo Jahres 1884. 
Noch wandte sich Eugland mit einem Anerbieten an Italien, aber 
auch dieses lehnte vorsichtiger Weise ab, da es die Finger zu ver- 
brennen fürchtete. So blieb England schließlich allein, ohne indes 
vor den Schwierigkeiten zurückzuschrecken, die weniger in den Rüst- 
ungen Arabis und der Aegypter, als darin lagen, Truppen und 
Kriegsbedarf aller Art auf dem weiten Wege von England durch 
die Meerenge von Gibraltar bis nach Aegypten in genügender Menge 
und mit möglichster Schnelligkeit zu schaffen. Doch die Engländer 
kamen auch damit zustande und anvertrauten den Oberbefehl ihrem 
besten General, Wolfeley. Der Rest war nicht allzu schwer, jedenfalls 
leichter als die Engländer sich selbst vorgestellt hatten. Wolseley 
machte ohne alles Bedenken den Suezkanal zur Basis seiner Opera- 
tionen und schlug Arabi in der Schlacht von Tel el Kebir mit leichter 
Mühe aufs Haupt: die Aegypter sind vielleicht das unkriegerischeste 
Volk auf Gottes Erdboden, geschlagen liesen sie einfach auseinander, 
die Engländer zogen in Kairo ein und waren damit sofort Herren 
und Meister des ganzen Landes. 
Zustände Es fragt sich: was haben die Engländer seit der Zeit aus 
Acgyp. 
deus. 
Aegypten gemacht? Haben sie die Regierung des Khedive, wie sie 
es jederzeit als ihre Aufgabe verkündeten, gestärkt, so daß dieselbo 
nach ihrem Abzuge nötigenfalls auf eigenen Füßen zu stehen im 
stande wäre? Haben sie irgend welche bedeutsamere und durch- 
greifende Reformen, welche die Bevölkerung einer geordneten euro- 
päischen Verwaltung theilhaftig machen sollte, durchgeführt oder auch 
nur angebahnt? Haben sie endlich die Finanzen, die Grundlage 
jedes Staats, geordnet und auf feste Prinzipien gestellt? Haben sie 
endlich der Bevölkerung das Gefühl einer gewissen Sicherheit ein- 
geflößt und sich dadurch ihre Zuneigung und ihr Vertrauen er- 
worben? Die Aegypter selbst und alle unbefangenen europäischen 
Stimmen antworten darauf mit einem lauten und einstimmigen. 
Nein! Die Verantwortlichkeit dafür trägt aber England und zwar 
ganz allein, da seine erste Maßregel dahin ging, das bisherige fran- 
zösischenglische Kondominat für dahingefallen zu erklären und da- 
mit jeden konkurrierenden Einfluß zu beseitigen. Was England 
daran hinderte, irgend etwas für Aegypten zu thun, war sein be- 
kannter Eigennutz. Die Eroberung des Landes hat es freilich aus 
eigener Tasche bezahlen müssen und auch bezahli. Allein weiter für 
dasselbe irgend welche Opfer zu bringen, daran dachte es auch nicht 
von ferne. Sein ganzes Dichten und Trachten ging vielmehr lediglich
	        
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