Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 10.) 7
nur für Kamerun und erfolgt nur deshalb ohne weitere Vorberatung, weil
geglaubt wird, daß die sofortige Bewilligung zur Wahrung der Ehre unserer
Flagge notwendig ist; dagegen behalte ich mir in Beziehung auf die Kolonial-
politik selbst jede weitere Kompetenz vor und glaube nicht zu irren, wenn ich
sage, daß in diesen Anschauungen alle meine Freunde einverstanden sind."
Der Abg. v. Stauffenberg spricht namens der freisinnigen Partei noch-
mals die volle Übereinstimmung zu dem von dem Reichskanzler in der
Sitzung vom 26. Juni 1884 dargelegten kolonialpolitischen Programm „nach
der negativen und nach der positiven Seite“ aus, behält aber seiner Partei
vor, „in jedem einzelnen Falle ganz genau zu prüfen: bewegen sich die
Maßregeln, zu denen unsere Zustimmung erhalten werden soll, für welche
von uns Geldmittel verlangt werden, bewegen sich diese Maßregeln innerhalb
des Rahmens, welchen der Herr Reichskanzler damals aufgestellt hat? sind
die vorgeschlagenen Maßregeln notwendig, sind sie zweckmäßig?“ Diese Fra-
gen habe die freisinnige Partei im vorliegenden Falle bejaht, sie werde daher
der Forderung des Nachtrags-Etats nicht entgegentreten.
Aus den Reden des Reichskanzlers Fürsten Bismarck: „Ich möchte
nur in betreff der Kolonialfrage — oder nach ihrer Entstehung will ich sie
lieber so bezeichnen: des Schutzes unserer überseeischen Ansiedelungen, wie
sie der Handel mit sich gebracht hat — ich möchte Ihnen also nochmals
ans Herz legen, daß für die Kaiserliche Regierung eine wirksame Unter-
stützung dieser Unternehmungen, eine wirksame Fruktifizierung der Bewegung,
welche die deutsche Nation in der Richtung erfaßt hat, ganz unmöglich ist,
wenn sie nicht vom Reichstage eine freie, von einer gewissen nationalen Be-
geisterung getragene Unterstützung hat. (Sehr richtig! rechts.) Wenn wir
den Reichstag bitten, quälen, beweiskräftig demonstrieren müssen und doch
jede Mark, die wir verlangen, vom Plenum in die Kommission und von der
Kommission in's Plenum geschickt wird, wenn wir sehen, daß der Reichstag
für diese Dinge überhaupt kein Herz hat in seiner Majorität, daß er der
Regierung die spontane, freiwillige Unterstützung nicht gewährt, deren sie be-
darf, daß er die Regierung nicht trägt, sondern sie zurückhält, wie er sie zu-
rückhalten kann, — dann müssen wir das aufgeben.
„Wir haben schon mal an der afrikanischen Küste zur kurbranden-
burgischen Zeit Ansiedelungen gehabt, — in der Zeit der Gamaschen und
Perrücken sind sie aufgegeben und verkauft worden; und wenn Sie der
Regierung nicht mehr Unterstützung entgegenbringen, so ist es besser, wir
schreiten zu demselben Liquidationsverfahren so früh wie möglich und machen
dem Lande keine unnützen Kosten und Hoffnungen, die wir ohne Ihr frei-
williges Entgegenkommen und Ihren Beistand nicht erfüllen können.“
Hierauf verliest der Reichskanzler die am Tage vorher eingetroffene
Depesche des Kontre-Admiral Knorr und der „Köln. Ztg.“ über den Auf-
stand in Kamerun; er sieht die Ursache zu diesem Konflikt in dem Verhalten
des englischen Vize-Konsuls und einiger englischer Kaufleute und verliest zum
Beweise eine Reihe von Berichten der deutschen Beamten und Kaufleute, in
welchen darüber geklagt wird, daß die englischen Beamten durch Aufhetzen
der Eingeborenen der deutschen Autorität Schwierigkeiten bereiteten.
„Ich will gleich, ehe ich weiter lese, befürworten, daß ich die englische
Regierung bei diesem Vorgange für vollständig unbeteiligt und ex nexu
halte. Der Bereich des englischen Kolonialnetzes rund um den Erdball ist
kaum zu übersehen, geschweige denn zu beherrschen; es ist für die englische
Regierung weniger möglich als für jede andere, sowohl nach der Ausdehnung
wie nach der Organisation ihrer Kolonien, eine straffe Beherrschung der
Menschen und Verhältnisse, ja selbst der eigenen Beamten überall auszuüben.