VBas deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 7.) 95
tragten Modifikation, statt „der evangelischen Landeskirchen“ zu
setzen „der christlichen Kirchen“, angenommen.
7. Juni. (Abgeordnetenhaus.) In der dritten Beratung
der Sperrgeldervorlage behauptet Abg. Dr. Windthorst in
längerer Rede nochmals, der Papst habe zu der Vorlage tolerari
posse nicht ausgesprochen. Dieses Gesetz sei ein sozialdemokratisches
und der Minister möge eine entgegenkommendere Erklärung abgeben,
damit die Stimmung besser werde. Redner erneuert seinen Antrag
von der zweiten Lesung. Abg. Rickert erneuert inzwischen seinen
Antrag zu Artikel 3 folgendermaßen: „Die Verwendung der Er-
träge des Fonds bleibt den kirchlichen Behörden überlassen“. Mi-
nister v. Goßler hält folgende Rede:
Meine Herren, nachdem der Herr Abg. Dr. Windthorst erklärt hat,
daß er mit seinen politischen Freunden gegen die Vorlage stimmen will, so
glaube ich, wird der schließliche Erfolg über das Schicksal dieses Gesetzes
kaum noch einem begründeten Zweifel unterliegen.
An der Hand der Erörterungen der ersten Lesung haben die Meinungs-
verschiedenheiten einen so scharfen prinzipiellen Gegensatz angenommen und
namentlich auf juristischem Gebiet, unter Juristen, unter denen bekanntlich
eine Versöhnung sehr schwer möglich ist, daß ich es für nützlich halte, nicht
weiter in diese Materie einzutreten. Im allgemeinen kann ich nur das wieder-
holen, was ich gesagt habe: jeder hält an seiner juristischen Anschauung fest,
eine Vereinigung findet nicht statt, ein Verzicht ist aus höheren politischen
Rücksichten für ausgeschlossen zu erachten, und somit, glaube ich, ist es besser,
man verfolgt die allgemeinen rechtlichen Erörterungen nicht weiter, um nicht
Differenzen, die einmal bestehen, noch mehr zu steigern.
Der Abg. Graf Strachwitz macht es der Regierung zum besonderen
Vorwurf, daß sie bei der Einbringung und bei der Vertretung dieser Vor-
lage auf die Stimmung des katholischen Volks, des katholischen Klerus und
der Vertreter des katholischen Volkes hier im Hause zu wenig Rücksicht ge-
nommen habe. Ich habe schon früher eine Andeutung gemacht, daß die
Staatsregierung nicht in der günstigen Lage ist wie die Mitglieder der
Zentrumspartei, die eben nur auf eine Stimmung Rücksicht nehmen und
zwar auf eine Stimmung, auf welche sie einen entscheidenden Einfluß haben.
Die Staatsregierung ist verpflichtet, auch auf Stimmungen in anderen Par-
teien, mögen sie auf kirchlichem oder politischem Gebiet sich bewegen, Rück-
sicht zu nehmen, und wie die Stimmung hier im Hause ist, meine Herren,
haben Sie ja zur Genüge kennen gelernt. Die Regierung hat hier wirklich
nicht die Führung genommen, um eine Stimmung im katholischen Lager
zu überwinden, sondern sie hat, wie ich das schon angedeutet habe, immer
eine möglichst ruhige, mittlere, objektive Diagonale zu wahren gesucht, sich
in keiner Weise an den scharfen Angriffen beteiligt, die zum Teil über den
Rahmen dieser Vorlage hinaus gegen das Zentrum und die von ihm ver-
tretenen Interessen geltend gemacht worden sind.
Mit dieser Stimmung, mit welcher der Abg. Graf Strachwitz so sicher
rechnete, ist es immerhin einigermaßen eigentümlich. Wir müssen wieder
etwas den Blick aus dem Rahmen der gegenwärtigen Diskussion hinaus-
werfen. Wovon wird die Situation politisch beherrscht? Doch eigentlich
von dem Gedanken, daß das Zentrum es ablehnt, eine Verantwortung zu