Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

98 Bes deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 9.) 
sein, als mir von meinem ruhigen erwägenden Standpunkte lieb ist. Denn, 
meine Herren, Spitzen sind für die Staatsregierung geblieben, auch wenn 
Sie es aus meinen Worten nicht entnommen haben; innerhalb der Staats- 
regierung leben Menschen, die eine gewisse Ehre haben und nicht vergessen 
können, was für Vorwürfe hier gegen sie erhoben worden sind. Meine 
Herren, ich habe — wie gesagt — absichtlich keinerlei Beschluß der Staats- 
regierung extrahiert, um mir nicht etwa in Zukunft den Weg zu verschließen. 
Ich bedauere die jetzige Wendung; aber wenn eine Hoffnung mir 
scheitert, dann denke ich immer an die Absicht, mit der ich an die betreffende 
Sache herangegangen bin. Ich kann sagen, daß wir — der Fürst Bismarck, 
welcher der wesentliche Träger der Vorlage gewesen ist, und ich — von der 
friedliebendsten Absicht geleitet worden sind; leider scheiterte unser guter Wille; 
aber ich werde mich freuen, wenn er anderweitig hier. im Hause und auch 
im anderen Hause Anerkennung findet. 
Nachdem Abgeordnete der Kartellparteien erklärt haben, daß 
sie gegen das Gesetz stimmen würden, da das Zentrum das Ent- 
gegenkommen zurückweise, spricht nochmals. Abg. Windthorst: 
Ich wiederhole, daß der Heilige Stuhl keine Stellung zu dieser Sache 
genommen hat. Der Minister behauptet, er habe das auf demselben Wege 
erfahren, auf welchem der Heilige Vater auch Nachrichten einziehe. Ich be- 
hauvte, daß die Quelle, auf die er sich bezieht, unrichtige Informationen 
at, und ich empfehle der Regierung, diese Quelle ferner nicht zu benutzen. 
Der Bischof von Paderborn kann keine andere Erklärung abgegeben haben 
als die übrigen Bischöfe, und er könnte seine Anschauungen nur mit Zu- 
stimmung seiner confratres geändert haben. Die vom Minister mitgeteilten 
Aeußerungen desselben sind nicht genau wiedergegeben. Ich lege übrigens 
Wert darauf, zu konstatieren, daß diese Vorlage noch nicht unserem neuen 
Regiment zufällt. Daß ich keine Nachforschung über die Stellung des Kul- 
tusministers bei dem Ministerpräsidenten angestellt habe, kann der Minister- 
präsident selbst bestätigen. Der Kultusminister hat wohl optima fide ge- 
sprochen, aber er kann sich irren, und er hat sich geirrt. Er müßte uns 
doch genau sagen, woher er das betreffende Schreiben hat. Im parlamen- 
tarischen Leben kann nichts geheim bleiben; wenn erst ein Stückchen ange- 
schnitten ist, muß das Ganze heraus. Der Abg. Hobrecht beklagt es, daß 
wir einseitig unsere Kirchenverhältnisse vertreten und es daher anderen Par- 
teien sehr schwer wäre, mit uns gemeinsam zu votieren. Das ist ja selbst- 
verständlich, daß wir unsere kirchlichen Verhältnisse vertreten, wie es auch 
die Protestanten thun, selbst da, wo sie glauben, es nicht zu thun. Wo 
mehrere Konfessionen bestehen, bleibt nichts übrig, als sich gegenseitig zu 
vertragen. Totschlagen können Sie uns nicht, und wir wollen Sie nicht 
totschlagen. Können wir uns heute nicht einigen, so scheiden wir jedenfalls 
nicht von der Sache ohne die Hoffnung, daß, was heute nicht geschieht, 
vielleicht morgen geschieht. Sie haben uns nötig und wir haben Sie noch 
nötiger, weil Sie die Majorität haben. Weil Sie solche Macht haben, 
sollten Sie uns nicht immer niederstimmen. Die Kartellparteien, die hier 
gegen uns stimmen, sind nichts anderes als die Sammlung der Protestanten 
des Hauses. 
Das Gesetz wird darauf mit großer Majorität abgelehnt; 
dafür nur die Freisinnigen. 
9. Juni. In der Reichstagskommission für das Militär- 
gesetz äußert der Reichskanzler: 
 
	        
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