Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

110 NNos beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 26.) 
Kriegsministers. Ich meine, es ist eine Pflicht derjenigen Herren, die am 
Bundesratstisch sitzen, in Offenheit und Ehrlichkeit dasjenige uns darzulegen, 
was sie im Interesse des Vaterlandes auch in Zukunft für notwendig 
erachten. 
h Was uns so schmerzlich überrascht hat bei dieser Vorlage, ist etwas 
anderes. Wir sind auf alles gefaßt gewesen, aber nicht auf eine Militär= 
vorlage in diesem Umfange für diese Sommersession. Ich glaube, auch die 
Herren von der rechten Seite dieses Hauses — und das spiegelte sich in der 
konservativen Presse wieder — haben eine solche Vorlage vor wenigen Mo- 
naten nicht erwartet und nicht erwarten können. 
Wenn man an die Verhältnisse, wie sie jetzt liegen, den Maßstab der 
früheren Aeußerungen und Intentionen der Regierungen legt, was soll man 
wohl dazu sagen, daß in dieser Sommersession drei solche Nachtragsetats 
kommen? Wahrend der Reichskanzler früher die Einführung von zwei- 
jährigen Budgets für notwendig hielt, kommen wir — und das müssen wir 
allerdings lebhaft bedauern — nicht einmal mit der einjährigen Etatsperiode 
aus. Wir haben in diesem Nachtragsetat viel wichtigere, viel schwerere 
Fragen zu lösen, als wir sie bei dem zuletzt uns vorgelegten Etat zu lösen 
hatten. Das ist kein gesunder Zustand, und ich kann nicht umhin, mein 
lebhaftes Bedauern darüber auszusprechen, daß man in dieser Session mit 
einer solchen Fülle von Nachtragsetats, die die schwersten finanziellen Kon- 
sequenzen in sich tragen, an die Volksvertretung kommt. Der Herr Referent 
sagt: die Herren von der Kriegsverwaltung konnten das ja nicht voraussehen. 
Ja, meine Herren. ich muß offen gestehen, auch nach den Verhandlungen 
der Kommission, die uns ja sonst manchen erwünschten Aufschluß gegeben 
haben: einen Aufschluß darüber, weshalb gerade jetzt und nicht vor ein paar 
Monaten, weshalb nicht in Verbindung mit dem laufenden Etat diese Vor- 
lage gebracht ist, haben wir nicht erhalten. Was in Frankreich, in Ruß- 
land geschehen ist, ist doch nicht in den letzten Wochen passiert. Wenn ich 
eine Aeußerung des Herrn Reichskanzlers richtig verstanden habe, so war 
der frühere Herr Reichskanzler, Fürst Bismarck, bereits vollständig damit 
einverstanden, nicht bloß, daß diese Vorlage, sondern alle die weitergehenden 
Vorlagen uns gemacht werden sollten. Es hat in einem Teile der Presse, 
z. B. ein Herr in der freikonservativen „Post“, einer meiner Landsleute, 
unter seinem Namen einen Hilferuf nach Friedrichsruh gerichtet: Fürst Bis- 
marck würde der Netter aus der militärischen und finanziellen Not sein. 
Daß dem nicht so war, wissen wir jetzt, und ich glaube sogar, zumal nach 
den Erklärungen des Herrn Reichskanzlers, daß die Forderungen, welche 
Fürst Bismarck, als er noch im Amte war. in dieser Beziehung gestellt hat 
— und ich bedauere nur, daß er diese Forderungen nicht vor den Wahlen 
gestellt hat —, noch höher waren. Wir haben aus den Zeitungen — und 
ich nehme an, daß diese Mitteilungen zuverlässig sind — gehört, daß die 
Bundesregierungen ihre Kräfte daran gesetzt haben, die anfänglich gestellten 
militärischen Forderungen auf das möglichst geringe Maß herabzudrücken. 
Ich kann nur für die Zukunft den Wunsch aussprechen — und ich glaube, 
das hohe Haus wird sich demselben auch anschließen —, daß Fragen von 
einer solchen finanziellen Tragweite in Zukunft nur mit dem Etat zusammen 
gebracht werden, damit wir dann das militärische und das finanzielle Bild 
nebeneinander haben; denn man darf nicht beide trennen, sie gehören zu- 
sammen. Auch die Finanzen sind ein notwendiges Rüstzeug, und wer sie 
vernachlässigt, der fügt dem Vaterlande genau denselben Schaden zu, als 
wenn er die militärische Rüstung vernachlässigt. 
Ich will die übrigen Dinge, die der Herr Referent berührt hat, im 
Laufe meiner Auseinandersetzungen behandeln: jetzt zunächst zu § 1 den An-
	        
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