Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

H deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 24.) 141 
Abg. Richter: 
... . Beei der Artillerie hat der Herr Abg. Dr. Windthorst einen 
Ton angeschlagen, dem ich sonst bei ihm nicht begegnete. Er hat ordentlich 
gruselig gemacht. Er hat gesprochen von dem letzten Rock, den man selbst für 
die Ehre und Sicherheit des Vaterlandes opfern müsse, und deshalb müsse 
man zu dieser Artilleriebewilligung kommen, weil sonst der Feind ins Land 
hineinbreche und die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands gefährde. 
Das war gesprochen wie die Wahlreden der Kartellparteien im Jahre 1887. 
Das Volk ist inzwischen ruhiger und vernünftiger geworden, das Angstprodukt 
ist verschwunden. Ich meine: dann hätten Abgeordnete auch keine Veran- 
lassung, nun ihrerseits Angst zu produzieren in der Art, wie der Herr Abg. 
Windthorst gethan hat. (Bravo! links.) 
Der Herr Abg. Windthorst hat von einem Konflikt gesprochen; nur 
er hat von dem Konflikt gesprochen; die Regierung hat das Wort nicht in 
den Mund genommen, keiner von der rechten Seite, keiner von den Mittel- 
parteien. Der Herr Abg. Windthorst findet ein taktisches Interesse daran, 
in dieser Situation fortgesetzt einen Konflikt an die Wand zu malen; er 
spricht von Leuten, die nicht wüßten, was sie thäten. Was weiß er denn? 
(Heiterkeit.) Mehr als wir? Dann heraus mit der Sprache! Was ist denn 
das Gespenst, das Sie treibt! Herr Windthorst sprach von Blättern, die 
gegen ihn wären, von dem Dreigestirn, ein sozialdemokratisches Blatt — ich 
weiß nicht, welches er meinte —, die „Frankfurter Zeitung“ und die „Frei- 
sinnige Zeitung“. Seit wann braucht denn der Herr Abg. Windthorst sich 
gegen drei Zeitungen hier auf der Tribüne zu verteidigen? Nein, diese Rede 
raucht er für seine eigene Partei, um dort den Widerspruch zu beherrschen, 
um dort die gewichtigsten Bedenken niederzuhalten, die auftauchen gegen diese 
Vorlage. Deshalb die Malerei des Konflikts, deshalb die Angstmacherei, daß 
manchem schwer wird, ruhig und sachlich die Vorlage zu prüfen, weil die 
sachliche Prüfung auch auf Ihrer Seite mehr Abgeordnete zur Verwerfung 
der Vorlage führen würde, als es sonst der Fall ist. 
Und daß die Franzosen im Frieden mehr Batterien haben als wir, 
ist doch keine Thatsache, die heute zum erstenmal erscheint. Es handelt sich 
gar nicht darum, wie viel man im Frieden etwa zur Parade Batterien auf- 
stellen kann, sondern, wie viel Kriegsformationen aus den Friedensformationen 
folgen. Kennt der Herr Abg. Windthorst die Zahl der mobilen Feldbatterien 
diesseits? Ich kenne fie; ich sage sie aber nicht. (Bewegung.) — Meine 
Herren, weil ich verpflichtet bin, darüber Geheimnis zu bewahren. Aber ich 
sage Ihnen, daß, weil ich sie kenne, obwohl ich amtlich verpflichtet worden 
bin als Abgeordneter, darüber Geheimnis zu bewahren, deshalb auch mit 
einer größeren Ruhe vielleicht diese Artilleriefrage hier erörtere als mancher 
andere. Ich halte mich hier auch nur an das, was hier öffentlich verkündigt 
worden ist von dem Herrn Kriegsminister. 
Der Kriegsminister Herr Bronsart v. Schellendorf hat im Jahre 1883 
gesagt, als wir die 3000 neuen Artilleristen und die 4000 Pferde dazu be- 
willigten, daß diese Bewilligung bis zum Ende des Septennats, bis zum 
Jahre 1894, ausreichen würde, und daß man weiteres für die Artillerie 
nicht verlangen werde. Also, meine Herren, Sie können von militärischer 
Seite nur mehr verlangen, soweit seit der Erklärung des Herrn Kriegs- 
ministers in dem Nachbarstaat, auf den man sich immer hier beruft, mehr 
Artillerie geschaffen worden ist. Wie viel ist denn dort seitdem mehr ge- 
schaffen: Nicht 70 Batterien, sondern 19 Batterien Feldartillerie! Wenn 
ich auch ganz außer Betracht lasse, daß diese Schöpfung der Artillerie hervor- 
gerufen ist durch italienische Gebirgsbatterien, so komme ich doch nur zu der
	        
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