Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

168 Das beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 29.) 
Was das Mittel betreffe, so könne Koch wohl die Methode sagen, 
das ermögliche aber noch nicht die Herstellung, die Methode müsse gezeigt 
und eingeübt werden, was längere Zeit, etwa sechs Wochen, erfordere. Die 
Möglichkeit der Fälschung sei vorhanden, auf chemischem Wege sei nicht 
jede Nachahmung als solche zu erkennen. Koch sei aus diesem Grunde von 
dem Minister selbst ersucht worden, die Veröffentlichung des Mittels nur 
so weit gehen zu lassen, daß die Gefahr der Nachahmung ausgeschlossen sei. 
Die Behandlung der Kranken solle mehr den Kliniken und staatlichen An- 
stalten überlassen und den Polikliniken und der ambulatorischen Praxis ent- 
zogen werden. Der geistige Eigentümer des Mittels sei Professor Koch; die 
Staatsregierung habe also keine amtliche autoritative Einwirkung auf die 
Verbreitung des Mittels; nur das Vertrauensverhältnis zu Koch habe die 
Basis der Verhandlungen geben können und gegeben. Dem ungeheuren An- 
drang gegenüber, das Heilmittel zu erlangen, habe man sich geradezu vor 
einer Kalamität befunden. Er sei bemüht gewesen, mit Aufbietung aller 
Kräfte die königlichen Kliniken nutzbar zu machen; für die innere Klinik 
hätten besondere Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Eine be- 
sondere Anstalt unter Leitung der Dr. Pfuhl und Dr. Libberts besorge die 
Erzeugung der Lymphe. Ein Fläschchen mit 5 g Inhalt koste 25 —4, davon 
ließen sich 500 Einspritzungen zu je 1 cg der höchsten Dosis, die heute ge- 
geben werde, herstellen, so daß die Einspritzung 5 J. koste, Phthisikern werde 
nur je 1 mg eingespritzt, das koste also nur 0,5 J. Eine Methode zur Her- 
stellung des Mittels im großen gebe es nicht. Auch wenn es noch so sorg- 
fältig hergestellt sei, gewähre es nicht die Garantie der Wirkung; ehe das 
Erzeugnis in den Gebrauch übergeführt werde, werde es deshalb am Tiere 
geprobt. Es schwebten Unterhandlungen wegen Verstaatlichung des Mittels 
und es sei nicht zu ruhen, bis der Staat es in die Hand bekomme. Selbst 
wenn es nicht gelinge, das Mittel so rasch zu vermehren, werde es doch 
Beruhigung gewähren, wenn der preußische Staat seine Firma darunter setze. 
Ein administratives Organ, welches den Vertrieb und die Verteilung leite, 
werde notwendig sein. Dem wilden Aufthun von Privatkliniken müsse ein 
Ziel gesetzt werden, schon wegen der Gefahr für die betreffenden Gebäude. 
Das Polizei-Präsidium werde die Ermächtigung erhalten, diesen Gefahren 
vorzubeugen. Die Staatsregierung beabsichtige nun, eine Krankenanstalt 
und eine wissenschaftliche Abteilung zu errichten; erstere werde auf dem 
Gebiet der Charitee, letztere auf dem Köpke'schen Grundstück errichtet. An 
der Spitze werde Koch stehen, unter ihm zwei Abteilungs-Dirigenten; Koch 
solle künftig mit lehramtlicher Thätigkeit nicht mehr belastet werden. Die 
einmaligen Ausgaben für das Institut würden sich auf etwa 21½ Millionen 
belaufen. Die Stadt habe ein Anerbieten von 150 Betten für arme Tuber- 
kulose gemacht, über das der Abschluß bevorstehe. Ein Privatmann habe 
Koch 1 Million Mark für arme Phthisiker zur Verfügung gestellt; 50—60 
arme Phthisiker würden daraus unentgeltliche Behandlung erfahren. Es sei 
zu hoffen, daß nach dem Vorgang von Berlin auch andere Gemeinden im 
Interesse ihrer armen Kranken eintreten werden. Der Minister schloß seine 
Ausführungen mit der Bemerkung, daß es für ihn, wenn er aus dem Amt 
scheide, die schönste Erinnerung sein werde, das Glück gehabt zu haben, 
einem Manne wie Koch die Wege zu ebnen, dessen Forscherkraft und Wahr- 
heitsliebe nur erreicht werde durch seine Uneigennützigkeit und Vaterlands- 
liebe. Das Vaterland könne glücklich sein, einen solchen Sohn sein eigen 
zu nennen. 
29. November. Eine Anzahl katholischer Notabilitäten, wo- 
runter Windthorst, Graf Ballestrem, Graf Preysing, erläßt als 
 
	        
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