Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechster Jahrgang. 1890. (31)

Das beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov 30.—Dez. 1.) 169 
„Vorstand des Volksvereins für das katholische Deutsch- 
land“ einen Aufruf zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. 
30. November. (Abgeordnetenhaus.) Erste Beratung 
des Entwurfs einer Landgemeindeordnung für die sieben öst- 
lichen Provinzen. 
30. November. Freiherr v. Schorlemer-Alst legt wegen 
Krankheit sein Mandat nieder. 
30. November. Der Gouverneur von Kamerun, Freiherr 
v. Soden, bereist die deutsch-ostafrikanische Küste. Dar-es-Salaam 
wird zum Sitz der Verwaltung bestimmt. 
1. Dezember. Fest der vor 250 Jahren erfolgten Thron- 
besteigung des Großen Kurfürsten. Der Kaiser erläßt fol- 
genden Armeebefehl: 
Heute vor 250 Jahren bestieg Mein Ahnherr, der Große Kurfürst, 
den Thron Seiner Bäter. Sein Regierungsantritt bedeutet für Mein Haus 
und Preußen den Aufschwung zu politischer Macht, zur Wohlfahrt und zu 
hohen geistigen Bestrebungen, die Schaffung eines stehenden Heeres legte den 
Grund zu der militärischen Machtentfaltung des Staates. 
Ich habe die Feldzeichen, welche aus jener glorreichen Zeit in der 
Armee vorhanden sind, hier um das Denkmal des Großen Kurfürsten ver- 
sammelt, damit sie die Erinnerung wachrufen an Seine Thaten und an die- 
jenigen Seines Heeres. Diese Thaten konnten nur vollbracht werden durch 
den Geist der Treue, der Gottesfurcht, des Gehorsams und der Tapferkeit, 
welchen der Große Kurfürst in Seinem Heere zu erwecken und zu er- 
halten wußte. 
Dieser Geist ist durch mehr als zwei Jahrhunderte Eigentum des 
Heeres geblieben; auf ihm beruht die Größe und Stärke des Vaterlandes; 
ihn zu bewahren und zu pflegen ist auch heute noch die heiligste Pflicht der 
Armee und im Hinblick auf den Großen Kurfürsten von Brandenburg und 
Sein ruhmreiches Heer soll und wird jeder Einzelne Meiner Armee dieser 
Pflicht eingedenk bleiben. 
Bei der Mittagstafel hält der Kaiser folgende Rede: 
Wir feiern heute einen für uns Preußen und uns Brandenburger 
hochbedeutsamen Tag; wir feiern die Thronbesteigung des Großen Kurfürsten. 
Vergegenwärtigen wir uns einen Augenblick, wie es damals bei uns 
aussah, und es wird uns dann klar, was wir dem hohen Herrn alles zu 
verdanken haben. Was war die Mark! Ein verachtetes Land, verödet, ver- 
wüstet, der Kampf= und Tummelplatz sämtlicher Parteien des in sich zer- 
splitterten Reiches, von Freund und Feind ausgesogen. — Was war Berlin? 
Eine kleine Stadt, gebrandschatzt, heimgesucht von Not und Krankheiten, 
mit wenig Tausend Einwohnern; der Landesfürst in schwerer Krankheit mit 
dem Tode ringend, fern in Königsberg weilend, niemand, der sich um das 
Land kümmerte, kein Mensch, der ein Herz für die Not des Volkes hatte: 
in dieser Verfassung mußte der Große Kurfürst mit Seinen zwanzig Jahren 
ganz allein die Aufgabe übernehmen, Sein Land wieder emporzubringen. 
Er hatte keinen Menschen damals; der große Staatsmann, der Seinem 
Vater gedient hatte, er hatte für sich gearbeitet, und dem jungen Herrn lag 
es ob, allein einen neuen Weg für Sich einzuschlagen. Kraft Seines un-
	        
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