322 Aebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1890.
die unvorsichtigen Andeutungen des Kriegsministers sofort des-
avouierte und als ganz unbestimmte Zukunftsmöglichkeiten hinstellte.
Unbestimmte und unkontrollierbare Gerüchte, als ob die Regierung
den so lange festgehaltenen Standpunkt der dreijährigen Dienstzeit
aufzugeben gedenke, trugen bei, die öffentliche Meinung zu ver-
wirren. Die Entscheidung über die Vorlage selbst und damit die
Führung des Hauses fiel, nachdem die deutschfreisinnige Fraktion
sich auf den reinen Oppositionsstandpunkt gestellt hatte, dem Zen-
trum und dem Abgeordneten Windthorst zu. Dieser wußte, wie
gewöhnlich, den klugen Mittelweg zu finden. Auf eine Ablehnung
und einen Konflikt durfte er es nicht ankommen lassen. Die Re-
gierung kam ihm mit einer kleinen Konzession, der Vermehrung der
Dispositions-Urlauber um 6000 Mann entgegen; darauf bewilligte
er die augenblickliche Forderung, fügte aber Resolutionen hinzu, welche
für die Zukunft alle Schlagworte der bisherigen Militär-Opposition
prinzipiell aufrecht erhielten (jährliche Bewilligung; zweijährige
Dienstzeit; vgl. S. 105) und den Plänen des Generals v. Verdy
ein sehr bestimmtes Nein entgegensetzten.
Friktio- In der deutschfreisinnigen Partei war die Spaltung zwischen
nerhald der positiven und negativen Richtung bereits so stark geworden,
der daß es zum offenen Kampf kam. Der Abgeordnete Richter trat aus
b’uesch dem Vorstand der Landtagsfraktion aus, weil diese ihm eine Art
finnigen Zensur erteilt hatte (März) und bei der Neukonstituierung der
Partei. Fraktion im Reichstag wählten seine Gegner zum Vorsitzenden des
Ausschusses, welche Funktion bisher Richter inne gehabt hatte, den
Abgeordneten Schrader. Es kam darüber zu äußerst gereizten Aus-
einandersetzungen in der deutschfreisinnigen Presse, in der nament-
lich der Abgeordnete Barth sich sehr energisch gegen Richter und
speziell gegen seine Manieren in der Presse, in der „Freifinnigen
Zeitung“ aussprach. Aber Richter zeigte sich für diesmal unter
den obwaltenden Umständen doch noch als der stärkere. Virchow
trat auf seine Seite und es wurde ein Kompromiß geschlossen, der
im wesentlichen den Sieg und die Rehabilitierung Richters be-
deutete (S. 101).
Neue Außer der Militärvorlage hatte der neue Reichstag haupt-
Soz
Feben sächlich zwei Gesetzentwürfe aus der Sphäre des neuen sozialpoli-