Das beutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 14.) 77
Ersatzreservisten, welche letzteren eine Gesamtausbildung von 20 Wochen auf
3 Uebungen in verschiedenen Jahren verteilt erhalten. Stellt man danach
den französischen Ziffern die deutschen — entsprechend den bei uns thatsäch-
lich bestehenden Verhältnissen — gegenüber, so ergibt sich aus 24 Jahr-
gängen Rekruten und Freiwilligen und 18 Jahrgängen Ersatzreservisten, bei
beiden nach Abzug von 25 Proz. für Abgänge, die Zahl der für den Kriegs-
fall verfügbaren, ausgebildeten Mannschaften auf rund 3,350,000. Frank-
reich, an Bevölkerung fast um 9 Millionen ärmer als Deutschland, würde
dann also ein Mehr von 775,900 geübten Streitern — und diese von gleich-
mäßiger Ausbildung — ins Feld zu stellen vermögen.
Des weiteren ist aber auch die Ueberlegenheit der französischen Armee
an Kadres in den letzten 3 Jahren noch gestiegen. Abgesehen von den 1887
als beabsichtigt bekannten Neuformationen ist insbesondere die Feld-Artillerie,
für welche der damalige Gesetzentwurf keine Erweiterung in Aussicht nahm,
1888 um 15, 1889 um fernere 19 Batterien vermehrt worden. Bis zum
Feldzuge 1870 nur im Besitz von 164 im Frieden bespannten Batterien,
hat Frankreich jetzt deren 480 mit 3123 Bespannungen für Geschütze und
Munitionswagen, während die deutsche Feld-Artillerie nach dem Septennats-
gesetze 364 Batterien zählt, welche die 1889 erfolgte Etatserhöhung auf
2038 Bespannungen gebracht hat.
Von vorstehenden Gesichtspunkten ausgehend, ist vom 1. Oktober 1890
an durch § 1 des Gesetzentwurfs eine Erhöhung der Friedenspräsenzstärke
um 18,574 Mann vorgesehen. Bemessen ist die Friedenspräsenzstärke nicht
wie bisher nach dem Verhältnis von 1 Prozent zu der ortsanwesenden Be-
völkerung, sondern in Rücksicht auf das zur Zeit vorliegende dringendste
Bedürfnis, die Kriegsbereitschaft des Heeres durch Aufstellung neuer, be-
ziehungsweise Etatsverstärkung bestehender Kadres zu erhöhen.
Die durch die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke bedingte jährliche
Mehreinstellung von rund 6000 Rekruten stößt auf keine Schwierigkeiten,
da die Deckung dieses Bedarfs durch die weit größere Zahl der alljährlich
lel ““'“z überzählig verbleibenden Mannschaften durchaus
esichert ist.
* Eine Vermehrung der für den Kriegsdienst ausgebildeten Mannschaften
etwa dadurch erreichen zu wollen, daß unter erhöhter Rekruteneinstellung vie
gegenwärtige aktive Dienstzeit bei den Fußtruppen verkürzt würde, kann als
angängig nicht erachtet werden.
Die beantragte Heeresverstärkung soll in der Hauptsache dazu dienen,
die durch Schaffung des XVI. und XVII. Armeekorps entstandenen organi-
satorischen Lücken auszufüllen und die Kriegsbereitschaft der Feld-Artillerie
zu erhöhen. Der Vorsprung, welchen die französische Feld-Artillerie in Bezug
auf Stärke und Kriegsbereitschaft erreicht hat, ist zu bedeutend, als daß die
Hoffnung noch gerechtfertigt wäre, denselben durch minderwertige Auskunfts-
mittel etwa durch zweckmäßige Mobilmachungsmaßregeln, wieder einbringen
zu können.
Es ist daher im § 2 des Gesetzentwurfs die Neubildung von 70 fah-
renden Batterien vorgesehen.
Die Feld-Artillerie wird hiernach die Stärke von 434 Batterien mit
2381 Bespannungen erhalten. Sie steht dann hinter der französischen immer
noch um 46 Batterien und 742 Bespannungen zurück.
Im Anschluß an diese Maßregeln wird eine erhöhte Fürsorge für
Gewinnung eines tüchtigen und an Zahl genügenden Unteroffizierpersonals
unvermeidlich. Während auf der einen Seite die ausgedehnte Verwendung
von Unteroffizieren zur Entlastung der Offiziere in manchen Dienstzweigen
zum Bedürfnisse wird, gestattet auf der anderen Seite die zunehmende Bil-