Das denische Reihh und seine einzelnen Glieder. (Mai 16.) 81
glaube, es war im Januar 1887 — die Lage, die bei uns eintreten würde,
wenn wir geschlagen wären, geschildert hat — ja, ich bin nicht im stande,
dem etwas hinzuzufügen, das besser zu machen oder auch nur zu behaupten,
es liegt um ein Jota heute anders als es damals lag. Dieses saigner a
blanc würde vor uns liegen, wenn wir geschlagen wären, und würde nicht
Halt machen vor den Sozialdemokraten, und auch sie würden bis aufs Weiße
zur Ader gelassen werden.
Der Herr Abg. v. Kardorff nötigt mich noch zu einer Bemerkung in
Bezug auf die Broschüre, die er zitiert hat und von der er die Voraussetzung
ausgesprochen hat, daß ihr Verfasser einen tiefen politischen Blick gethan
haben müßte. Nach meiner Kenntnis der Akten des Auswärtigen Amts
halte ich mich für berechtigt, dieser Voraussetzung auf das Entschiedenste zu
widersprezen Auch nicht ein Wort habe ich in den Akten gefunden, das
zu einer solchen Voraussetzung einen Anlaß geben könnte, und ich sollte
meinen, wenn man die Broschüre liest, kommt man dahinter, daß sie in
Bezug auf unsere Lage zu Rußland auf zwei wesentliche Momente heraus-
kommt. Einmal will der Verfasser uns glauben machen, daß unser fernerer
Beruf das Germanisieren weit ins Slaventum hinein wäre. Auch wer nicht
in die politischen Verhältnisse eingeweiht ist, wer nur die Lage unseres
Vaterlandes einigermaßen kennt, wird wissen, daß wir achtzig Jahre nach
der Besitzergreifung der Provinz Posen noch nicht dahin gekommen sind, diese
Provinz so zu germanisieren, wie es viele von uns wünschten, wie es unter
üheren Regierungen angestrebt worden ist. Noch heute haben wir mitten
in Deutschland wendische Enklaven und noch heute wird in Litauen und
Masuren die Nachmittagspredigt vielfach in einem anderen Idiom als im
deutschen abgehalten. Also wenn der Verfasser dieser Broschüre die Lust hat,
zu germanisieren, so liegt innerhalb unserer Grenzen noch ein so reiches Feld
vor, daß es nicht nötig ist, den Blick darüber hinausschweifen zu lassen.
Das zweite der Motive, aus denen der Verfasser seine Animosität
egen Rußland schöpft, liegt darin, daß er sagt: wir müssen Herren der
stsee werden, unsere Küste ist zu kurz, wir msen uns weiter nach Norden
ausdehnen. Meine Herren, ich bin fünf Jahre Chef der Admiralität gewesen
und habe mich fleißig mit der Verteidigung der Ostsee beschäftigt, auf den
Einfall aber, daß unsere Küste an der Ostsee zu kurz wäre, bin ich in diesen
fünf Jahren nicht ein einziges Mal gekommen. Es find Klagen aus dem
Handelzstond unserer Häfen an mich gekommen, aus der Rhederei und dem
eehandel von Memel bis Stettin, darüber aber hat kein Mensch geklagt,
dt er aict noch mehr Konkurrenten hätte, sondern am Hinterland hat es
ihnen gefehlt.
Ich möchte hiermit den Glauben, daß der Verfasser dieser Broschüre
auch nur so weit mit politisch unterrichteten Kreisen in Beziehung gestanden
feaben könnte, daß er einen tieferen Einblick als andere Menschen gethan
ätte, diesen Glauben moöchte ich hiermit beseitigt haben.
Der Herr Abg. Hänel hat die staatsrechtliche Frage der Stellung des
Reichskanzlers gegen seinen Stellvertreter berührt. Ich bin nicht im stande,
auf alle Momente, die der Herr Redner in dieser Beziehung vorgeführt hat,
einzugehen. Ich kann nur sagen, es hat mich gerade aus dicsen Munde
überrascht, eine Ansicht entwickeln zu hören, die dahin führen würde, daß
der Stelleninhaber von dem Stellvertreter abhängig gemacht würde. Der
Stelleninhaber sollte sich, wie der Herr Abg. Hänel äußerte, zuerst der Ein-
willigung oder — er brauchte dann nachher einen etwas abschwächenden Aus-
druck — seiner Stellvertreter versichern. Ich bin vielleicht zu sehr Soldat,
um für dieses Verhältnis Verständnis zu haben. Auf keinen Fall würde
für mich in einer Organisation, die auf einem so schwierigen Verhältnis
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