Ma Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 30) 123
zu hindern. Auch der französische Krieg war ein notwendiger Abschluß.
Diese ganze Entwicklung müssen Sie nicht meiner vorausberechnenden Ge-
schicklichkeit zuschreiben, es wäre eine Ueberhebung von mir, zu sagen, daß
ich diesen ganzen Verlauf der Geschichte vorausgesehen und vorbereitet hätte.
Man kann die Geschichte überhaupt nicht machen, aber man kann immer
aus ihr lernen. Man kann die Politik eines großen Staates, an dessen
Spitze man steht, seiner historischen Bestimmung entsprechend leiten, das ist
das ganze Verdienst, was ich für mich in Anspruch genommen habe. Es
gehört noch mehr dazu: Vorurteilsfreiheit, Bescheidenheit, Verzicht auf
eigene Ueberhebung, als eine überlegene Intelligenz, die alles voraussieht
und beherrscht. Ich bin von früh auf Jäger und Fischer gewesen, und das
Abwarten des rechten Moments ist in beiden Situationen die Regel gewesen,
die ich auf die Politik übertragen habe. Ich habe oft lange auf dem An-
stande gestanden und bin von Insekten umschwärmt worden, ehe ich zum
Schuß kam. Ich möchte von mir nur den Verdacht abwehren, daß ich un-
bescheiden gewesen bin, daß ich Verdienste in Anspruch nehme, die mir nicht
beiwohnen. Das Verdienst, daß ich beanspruche, ist: ich habe nie einen
Moment gehabt, in dem ich nicht ehrlich und in strenger Selbstprüfung
darüber nachgedacht, was ich zu thun habe, um meinem Vaterland und, ich
muß auch sagen, meinem verstorbenen Herrn, König Wilhelm I., richtig
und nützlich zu dienen. Das ist nicht in jedem Augenblick dasselbe gewesen,
es haben Schwankungen und Windungen in der Politik stattgefunden, aber
Politik ist eben an sich keine Logik und keine exakte Wissenschaft, sondern
es ist die Fähigkeit, in jedem wechselnden Moment der Situation das am
wenigsten Schädliche oder zweckmäßigste zu wählen. Es ist mir das nicht
immer gelungen, aber überwiegend doch immer in den meisten Fällen. Man
hat von mir gesagt, ich hätte außerordentlich viel Glück gehabt in meiner
Politik. Das ist richtig, aber ich kann dem Deutschen Reich nur wünschen,
daß es Kanzler und Minister haben möge, die immer Glück haben. (Große
Heiterkeit.) Es hat das eben nicht jeder. (Heiterkeit.) Meine Vorgänger
im Amte, im Dienste des preußischen Staates haben es nicht gehabt. Ich
glaube nicht, daß irgend einer von ihnen, wenn er nach Jena gekommen
wäre, den Empfang gehabt hätte, wie er mir heute zu teil geworden ist.
Jch will wünschen, daß ihn mein Nachfolger hat, dem Sie in derselben
freudigen und spontanen Begeisterung dermaleinst entgegenjauchzen mögen,
wie ich es heute, nachdem ich nichts mehr in der Politik zu thun habe, als
Ouittung erlebt habe. Es ist das für mich ein erhebendes und freudiges
Gefühl gewesen — und ich wüßte nicht, was man mir in diesem Leben
mehr anthun könnte, was irgendwie ins Gewicht fiele, neben dem Wohl-
wollen und der freudigen Liebe meiner Mitbürger, wie sie mir heute ent-
gegengetreten ist. Daß Sie mir dieses Gefühl hinterlassen und daß Sie,
nachdem es in Dresden, München, Augsburg angeregt worden ist, es ver-
stärkt und vertieft haben, dafür bin ich Ihnen vom Herzen dankbar. In
meinem Herzen lebt dieselbe Liebe zum Vaterlande wie vor zehn Jahren,
wo ich den entscheidenden Einfluß auf die Politik hatte. Meine Ansichten
über die Zweckmäßigkeit und Richtigkeit dessen, was wir zu thun haben,
sind heute noch dieselben. Warum ich sie nicht aussprechen sollte, sehe ich
nicht ein. Das Wesen der konstitutionellen Monarchie, unter der wir leben,
ist eben das Zusammenwirken des monarchischen Willens mit den Ueber-
zeugungen des regierten Volkes. Die gegenseitige Verständigung ist not-
wendig, um unfre Gesetze zu ändern, sonst verfallen wir dem Regiment der
Bureaukratie. Allerdings kann ja, was der Geheimrat vom grünen Tisch
aus entwirft, die Presse korrigieren, wenn sie frei ist — aber sie bleibt
nicht frei. Es ist das ein gefährliches Experiment, heutzutage im Zentrum