Das Denisthe Reihh und seine einzelnen Glieder. (Juli 31.) 127
Verfassung. Ein Krieg, auch ein siegreicher, hat für die Nation keine
wohlthuenden Folgen. Wir haben uns seit 1870 angelegen sein lassen,
weitere Kriege zu vermeiden, vor allem dem neuen Deutschen Reiche den
Frieden zu erhalten, weil der innere Ausbau unsre Thätigkeit voll in
Anspruch nahm, ja sogar eine gewisse diktatorische Thätigkeit verlangt
v die ich als dauernde Institution eines großen Reiches nicht betrachten
möchte.
Wir haben unsre ganze Aufmerksamkeit im Innern der Konsoli-
dierung der Reichseinrichtungen zugewendet, in dem Sinne, daß alle Deut-
schen in ihnen sich wohlbefinden sollten, daß die Reichseinrichtungen ihnen
wohlgefallen sollten, als ein Besitztum, das zu verteidigen und zu vertreten
sie alle bereit sein würden. (Lebhafter Beifall.) Fertig ist die Aufgabe
vielleicht noch nicht. Aber sie kann nur fertig werden, wenn wir ein starkes
Parlament als Brennpunkt des nationalen Einheitsgefühls haben. (Beifall.)
Ein Parlament kann nicht stark sein, wenn es von Parteien zerrissen ist.
Es wird dann in der Hand jedes einzelnen stehen, aus den Fraktionen
und Fraktiönchen diejenigen herauszupflücken, deren Ueberzeugung und
Votum für irgendwelche Fraktionsvorteile zu haben ist, und das ist das
Unglück, wenn wir in das Fraktionswettkriechen, in den Fraktionshandel
— do ut des-Tendenz — verfallen. Ohne einen Reichstag, der vermöge
einer konstanten Majorität, die er in seinem Schoße birgt, im stande ist,
die Pflicht einer Volksvertretung dahin zu erfüllen, daß sie die Regierung
kritisiert, kontrolliert, warnt, unter Umständen führt, der im stande ist,
dasjenige Gleichgewicht zu verwirklichen, was unfre Verfassung zwischen
Regierung und Volksvertretung hat schaffen wollen, ohne einen solchen
Reichstag bin ich in Sorge für die Dauer und für die Solidität unfrer
nationalen Institutionen. (Lebhafter Beifall.) Wir können heutzutage nicht
mehr einer rein dynastischen Politik leben, wir müssen nationale Politik
treiben, wenn wir bestehen wollen. Es ist das das Ergebnis der politischen
Entwickelung, die in dem letzten halben Jahrhundert in Europa statt-
gefunden hat. Um nationale Politik treiben zu können, müssen wir aber
eine nationale Volksvertretung haben, die in erster Linie die Bedürfnisse
und Wünsche der Nation zu berücksichtigen hat. Wir können nicht regiert
werden unter der Leitung einer einzelnen der bestehenden Fraktionen, am
allerwenigsten unter der des Zentrums. (Lebhafter Beifall.) Ich glaube,
daß selbst unfre katholischen Landsleute in ihrer Mehrzahl das Bedürfnis
haben, unabhängig von der Doktrin der Zentrumsleitung in Berlin regiert
zu werden. Ich glaube, daß wir mit unsern katholischen Fragen leichter
fertig werden würden, wenn wir mit der römischen Kurie durch Ver-
mittelung eines Nuntius in Berlin zu verhandeln hätten, als wenn die
Stelle des Nuntius die Beeinflussung des Papstes durch das Zentrum ein-
genommen hätte.
Ich halte das letztere für gefährlicher für unfre nationalen Ziele,
als uns ein Nuntius sein könnte. Ich will damit nicht die Berufung eines
Nuntius befürworten. Ich sage diese Worte nur als Ausdruck des Urteils,
das io über die heutige Leitung des Zentrums mit mir herumtrage. Ich
halte sie für gefährlich, nicht bloß in konfessionellen Fragen, sondern haupt-
sächlich in nationalen Fragen. Sie bröckelt uns alles ab, was wir im
Osten unsrer Grenzen in Polen germanisch angebaut haben und anbauen
haben wollen. Den ganzen Kulturkampf konnten wir entbehren, wenn die
polnische Frage nicht daran hing. Sie hing daran. Damals in der Frage
der sogenannten katholischen Abteilung hatten wir den fremden Nuntius
nicht als fremden Diplomaten, sondern inmitten des preußischen Ministeriums
— eine Abteilung, die ursprünglich gestiftet war, die Rechte des Königs