Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 1.—5.) 133
Bestrebungen unumwundener und anspruchsvoller im Deutschen Reiche auf-
treten und — was das Bedeutsamste ist — daß auf Seiten der Regierung
weniger Widerstandskraft dagegen zu Tage tritt, als je zuvor. Dem gegen-
über drängt sich die Notwendigkeit eines verständigen Zusammenwirkens
aller derer immer gebieterischer auf, die eine klerikal-reaktionäre Politik
unter allen Umständen bekämpfen müssen. Insbesondere haben die beiden
liberalen Parteien, denen trotz aller Gegensätze und Verfeindungen in ver-
gangener Zeit stets ein gemeinsamer Boden geistiger und materieller Inter-
essen verblieben ist, die Pflicht, ein solches Zusammenwirken mit wachsendem
Ernste ins Auge zu fassen.“
„National-Zeitung“: „Es ist eine Zeit bedenklicher Verwirrung der
inneren Politik vorauszusehen; aber sie könnte nicht allzu lange dauern,
denn eine Regierung, welche so schwach wäre, daß sie sich dem Zentrum
tuterwirtt. eine solche Regierung würde eine überaus kurze Lebensdauer
aben.“
„Berliner Börsen-Zeitung““ „Den Herausforderungen des Mainzer
Katholikentages gegenüber müssen wir konstatieren, daß der Katholizismus
in shland ein Fremdling bleiben wird, so lange er römisch und nicht
eutsch ist.“
„Vossische Zeitung“: Hat die Regierung für die Ausfälle der Mainzer
Reden nichts als Entschuldigung oder gar Bewunderung, stellt sie das
Zentrum der konservativen Partei als Muster vor, dann weiß die öffent-
liche Meinung sattsam, was sie von dem Reichskanzler zu halten und zu
erwarten hat. Die heutige Regierung würde schnell genug hinweggefegt
werden, wenn sie auch nur den Schein zuließe, als billigte oder duldete sie
die Parole, die in Mainz ausgegeben wurde: Katholisch ist Trumpf!“
„Freifinnige Zeitung"““ „Gewiß könnte der Reichskanzler die „Einig-
keit" des Zentrums für seine achtzig Millionen-Forderung und seine neuen
Reichssteuerprojekte vortrefflich gebrauchen. Aber was kann er dem Zentrum
dafür bieten: Im Reichsressort absolut gar nichts. In der einzigen Frage
des Vesuttengesete hat er durch seine Erklärung im vorigen Jahre sich die
Brücke abgebrochen. Schöne Worte aber thun es nicht.“
„Vorwärts“: „Natürlich wäscht eine Hand die andere, die Ultra-
montanen wissen von altersher das Gewerbe des Schacherns aus dem
Grunde zu betreiben und halten darauf, für ihre Mithilfe beim großen
Werke der Reaktion klerikale Sonderzugeständnisse einzutauschen. Die Politik
der Bourgeoisparteien ist ein Handelsartikel. Dies erfaßt und ausgesprochen
zu haben, ist ein Verdienst des Zentrums."“
1. September. Bei der Reichstags-Ersatzwahl in Herford-
Halle werden 14,487 Stimmen abgegeben. Davon erhält v. Hammer-
stein (kons.) 7630 Stimmen, Delius (nat.-lib.) 3160 Stimmen,
Buskühl (deutsch-freis.) 1884 und Zwiener (Soz.) 1785 Stimmen.
2. September. Das Wahlresultat der im Wahlkreise Sagan-
Sprottau stattgehabten Reichstags-Ersatzwahl ergibt in der Stich-
wahl insgesamt 10.088 Stimmen, davon entfallen auf Buchdruckerei-
besitzer Ior. Hermann Müller in Glogau (freis.) 8620 und auf Ritter-
gutsbesitzer v. Klitzing zu Zauche (kons.) 7468 Stimmen.
3.—5. September. In Swinemünde findet eine Flotten-
schau vor dem Kaiser statt.