Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

146 JNas Neutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 4.) 
lands zur Aufrechterhaltung des Friedens von eben diesem Jahre 1875 an 
Rußland und Frankreich einander genähert hätte. Es sei daher unwahr, 
wenn Bismarck in seiner Wiener Aussprache im Sommer 1892 gesagt habe: 
die Beziehungen Deutschlands zu Rußland seien erst seit seinem Ausscheiden 
schlechter, den Franzosen günstiger geworden. Wenn man diese „geschicht- 
liche Beleuchtung“ mit der nüchternen, von Bismarck mir enthüllten Wirk- 
lichkeit vergleicht, so kommt man freilich zu dem Ergebnis, daß die ver- 
ehrliche Redaktion der „Deutschen Revue“ gerade so gut die Ueberschrift 
des folgenden Artikels dieses ihres Novemberheftes über den hier besprochenen 
Aufsatz hätte setzen können, nämlich: „Die Geheimnisse des Planeten Mars. 
Eine Hypothese.“ 
Nach meinen in frischer Erinnerung gebuchten Notizen, die jedoch 
keineswegs für eine wortgetreue Wiedergabe seiner Rede einstehen, da ich 
diese nicht stenographieren konnte — und indem ich auch hier alles völlig 
Vertrauliche seiner Worte weglasse — sagte Fürst Bismarck etwa: 
„Die „Deutsche Revue“ scheint auch an einer hochgradigen Offi- 
ziosität zu leiden. Sie beschuldigt mich, 1875 den Krieg mit Frankreich 
gewollt zu haben. Der Anonymus, der das zu drucken wagt, hat, nach 
vielen seiner Mitteilungen, scheinbare Beziehungen zum Auswärtigen Amte. 
Aber alles, was er vorbringt, sind nur unrichtige Schlüsse aus falschen 
Behauptungen. Das Auswärtige Amt verwahrt die vollständigen urkund- 
lichen Nachweise, um diese Lügen als solche festzunageln. Ich besitze diese 
Urkunden natürlich nicht einmal in Abschrift. Aber ich kann eine Fülle 
anderer Zeugnisse und Beweismittel gegen diese Verleumdung anrufen. 
Frankreich war im Frühjahr 1875 so schwach, daß, als das Kriegsgeschrei 
sich erhob, die französischen Generale, nach amtlichen Versicherungen, offen 
erklärten, sie würden sich im Felde gar nicht stellen, gar nicht schlagen, um 
die Frivolität des deutschen Angriffs vor aller Welt zu beweisen. Ich habe 
nun immer den Beginn eines Krieges, den wir, anders als gezwungen und 
gedrungen, aufnahmen, für eine Ruchlosigkeit gehalten und dieser Empfindung 
entsprechend gehandelt. Ich habe das bewiesen 1867, bei der Luxemburger 
Frage, wo ich, gegen starke Strömungen, den Krieg vermied, in der Meinung, 
daß beim Tode des Kaisers Napoleon — der damals früher erwartet wurde, 
als er wirklich eintrat — der Widerstreit aller französischen Parteien an 
seinem Sarge sich ein mehr oder minder freundliches Rendezvous geben 
würde und uns dadurch vielleicht überhaupt den Entscheidungskrieg gegen 
Frankreich ersparen könne. 
„Im Gegensatze zu dieser meiner Auffassung ging der deutsche 
Generalstab, an dessen Spitze der vortreffliche Moltke, 1875 von der An- 
sicht aus, Frankreich wolle ja doch einmal den Krieg, also müsse man ihm 
zuvorkommen, so lange es unvorbereitet sei. Moltke und auch Radowitz — 
der alle Ihnen bekannten Eigenschaften seines Vaters geerbt und die für 
einen Diplomaten sehr ungünstige hinzuerworben hat, nach dem dritten 
Glase Wein seiner Zunge die Zügel schießen zu lassen, und dem ich nach 
der „Deutschen Revue“ meine tiefsten Geheimnisse damals anvertraut haben 
soll — erklärten offen bei Tische, daß wir Frankreich bekriegen würden. 
Ich dachte gar nicht an Krieg — ich war damals vom Kulturkampf voll- 
ständig in Anspruch genommen, der auf seiner Höhe stand — und ver- 
langte sehr entschieden vom König, daß er dem Generalstab erkläre, er habe 
sich nicht in die Geschäfte des Auswärtigen Amtes, nicht in die auswärtige 
Politik zu mischen, und ich erreichte das, wenn auch auf Umwegen, und 
nach einigem Widerstreben seitens des Königs, da der eigentliche Uebel- 
thäter, wie gesagt, der auch von mir hochverehrte Moltke war. Die Ur- 
kunden für diesen Verlauf der Sache liegen — wie gleichfalls schon be-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.