Daes eutsche Reich nnd seine einzelnen Glieder. (November 23.) 177
gangen ist. Ich bin der Ueberzeugung, und ich glaube, Sie alle werden
sie mit mir teilen, daß der Name eines deutschen Landwehrmannes auf alle
Zeiten ein Ehrenname bleiben wird. (Bravo rechts.)
Ich muß nun auf den Teil der Landwehr noch zurückkommen, der,
wenn man einen Vergleich mit der Linie anstellt, der meistbeteiligte ist: die
Landwehr ersten Aufgebots. Ich wiederhole noch einmal, das sind die Mann-
schaften, die durch die Reorganisation des hochseligen Königs Wilhelm in
ein Verhältnis gebracht werden sollten, was sie davon befreite, schon bei
Ausbruch der Mobilmachung in engem Verband mit der Linie an den Feind
gebracht zu werden. Diese Landwehrleute befinden sich in Truppenteilen,
die man heutzutage Reserve-Divisionen nennt, die aber ihren Namen weder
davon haben, daß sie aus Reservisten zusammengesetzt siud — denn sie setzen
sich aus Landwehrleuten zusammen — noch davon, daß sie in Reserve ge-
halten werden sollen. Deun die Reserve-Divisionen, die wir aufstellen, werden
fast ausnahmslos mit der Linie mobil gemacht und mit der Linie ins Feld
gestellt. Wir haben nicht die Mittel, diese Reserve-Divisionen in den
Festungen zu lassen, wir müssen sie brauchen wie Feldtruppen, wir haben
nicht die Zeit, sie erst nach und nach an das militärische Leben sich gewöhnen
zu lassen. Vom ersten Tage an müssen sie neben den Linientruppen stehen;
wenn man sie auch nicht, wie zur Zeit vor der Armee-Reorganisation, in
Brigaden mit der Linie einreiht, so wird man sie doch immer wieder in
gewisse Verbände mit der Linie bringen müssen. Es wird dann für den
Feldherrn die Frage entstehen: soll das Tempo des Ganzen sich nach dem
langsameren Tempo der Landwehr richten oder nach dem rascheren Tempo
der Linien-Divisionen, was letzteres für die Reserve-Divisionen baldige Auf-
lösung durch Erkrankungen voraussichtlich zur Folge haben müßte. Unsere
Reserve-Divisionen sind älter als die französischen und russischen, und sie
entbehren der Kadres. Sie sind sehr stark verheiratet. Die Statistik des
Jahres 1885 ergibt, daß im Alter von 20 bis 25 Jahren 7,4 Männer ver-
heiratet sind, von 25 bis 30 Jahren 47,8 und von 30 bis 35 Jahren 76 %.
Das Letztere ist das Alter uuserer Reserve-Divisionen. Mir ist erinnerlich
aus dem letzten Kriege, daß das erste Garde-Landwehr-Regiment bei einem
Etat von 3000 Köpfen 4000 Kinder hatte. Sie werden mir zugeben, daß
eine auf solche Weise — ich möchte sagen — moralisch belastete Truppe
immerhin mehr Schwierigkeiten zu überwinden hat, wie eine andere, und
daß es Pflicht der Armeeverwaltung ist, danach zu suchen: wie können wir
diesem Uebelstand abhelfen, wie können wir jüngere Leute schaffen: Daß wir
das können, wird Ihnen nachgewiesen werden; wir haben die nötigen Mengen
waffenfähiger Menschen dazu.
Die Landwehr zweiten Aufgebots hatten wir schon ganz abgeschafft;
sie war beseitigt; wir haben sie wieder eingeführt, und selbst diese Land-
wehr zweiten Aufgebots — ich scheue mich nicht es öffentlich auszusprechen,
weil ich der Ueberzeugung bin, daß, wenn auch etwas gesagt wird, was das
Ausland gern hört, es für unsere Nation notwendig ist, über diese Dinge
klar zu sein, wenn sie darüber urteilen soll, — die Landwehr zweiten Auf-
gebots wird auch zu zwei Dritteln bei einem Kriege auf zwei Fronten im
Feld, an der Küste oder auf Etappen verwendet werden, und das, was wir
zur Besatzung unserer Festungen übrig behalten, das ist der Landsturm und
der Rest der Landwehr zweiten Aufgebots. Das sind Verhältnisse, die wir
seit dem Jahre 1813, und auch selbst im Jahre 1813 nicht gehabt haben;
denn wo im Jahre 1813 der Landsturm aufgeboten worden ist — es sind
nur wenig Fälle gewesen —, ist er nicht ernstlich gebraucht worden.
Nun wird man zugeben: die Kraft der Armee liegt im Friedens-
stande, und es hängt wesentlich die Leistung der Kriegsarmee von der Stärke
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXIII. 12