Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

182 Das Peutsche Reich nnd seine einzelnen Elieder. (November 23.) 
aktiven Dienst durchgeführt werden soll, indem dadurch dem Deutschen Reich 
unerschwingliche Kosten erwachsen würden“. 
Wenn man die stenographischen Berichte nachsieht, so liegt der Accent 
in dieser ersten Resolution nicht auf der „Durchführung der allgemeinen 
Wehrpflicht", sondern liegt auf den „unerschwinglichen Kosten". Eine Re- 
solution gegen die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht würde sicherlich 
leicht die Zustimmung gefunden haben, da ja die Reichsverfassung schon 
die allgemeine Wehrpflicht statuiert; sie würde auch nicht von den Parteien, 
wie es geschehen ist, unterstützt worden sein, die seit langen Jahren die 
allgemeine Wehrpflicht auf ihr Panier geschrieben haben. Der Accent dieser 
Nummer 1 der Windthorst'schen Resolutionen, wie sie von der überwiegenden 
Mehrheit dieses Hauses augenommen wurde, liegt auf den „LUnerschwing- 
lichen Kosten". Nun glaube ich, daß, wenn wir von 117 Millionen auf 
57 Millionen zurückgegangen sind, dann der Ausdruck „Unerschwinglichkeit“ 
nicht mehr zutreffend ist. Man hat die damaligen Forderungen „Uferlose 
Projekte“ genannt. Ich möchte glauben: das, was wir Ihnen jetzt vor- 
legen, ist ein eingedämmtes Projekt. 
Nummer 2 der Windthorst'schen Resolutionen richtete sich gegen das 
Septennat. Ich habe mir anzuführen erlaubt, daß wir bis zu einem 
Quinqnennat gehen zu können glauben und gehen wollen. Die Bedeutung 
des Septennats wird vielleicht für die Herren, die sonst geneigter waren, 
an der einjährigen Bewilligung festzuhalten, einigermaßen dadurch verloren 
haben, daß wir nicht, wie früher, allein die Offiziere, sondern aus mili- 
tärischen Gründen auch die Unteroffiziere aus der Zahl herausnehmen 
wollen, die auf eine Reihe von Jahren bewilligt wird. Wenn also einmal 
im Reichstag bei einer Opposition die Neigung sein sollte, es auf einen 
Kampf auf Grund der Etatsstärke ankommen zu lassen, so würde sie 
a dem Teil, der jährlich zu bewilligen ist, immer noch Spielraum genug 
inden. 
Die dritte der Resolutionen des Herrn Windthorst ging dahin, „die 
Dispositionsurlauber zu vermehren", die vierte, „womöglich die Einführung 
der gesetzlich zweijährigen Dienstzeit für die Fußtruppen in ernstliche Er- 
wägung zu nehmen". Diesen beiden Resolutionen sind wir, glaube ich, so 
weit nachgekommen, als überhaupt möglich war. 
Die Vorlage ist natürlich unwillkommen. Auch wir haben sie nicht 
gern gebracht. Aber, meine Herren, der Krieg ist noch unwillkommener, 
und eine Niederlage wäre das Unwillkommenste. Mein Herr Amtsvor- 
gänger hat im Jahre 1887 hier eine Rede gehalten, die mit großen, 
packenden Zügen von den Folgen einer Niederlage sprach. Das hat im 
Augenblick Eindruck in Deutschland gemacht. Ich habe aber das Gefühl, 
wie wenn dieser Eindruck nicht tief gegangen wäre. Man ließ sich allen- 
falls eine Gänsehaut überlaufen, aber man drehte sich um und ruhte weiter. 
Ich wünschte, daß die ganze Nation, jeder Einzelne sich darüber klar würde, 
was eine Niederlage für ihn zu bedeuten hätte. Die ältesten von uns 
werden sich noch der Erzählungen ihrer Mütter aus der Franzosenzeit er- 
innern, jener Zeit der Demütigungen und Schädigungen, denen damals 
keine Familie entging. Wir haben den Krieg, als wir selber Sieger 
waren, von einer milderen Seite kennen gelernt, und ich glaube, wir halten 
zu sehr an der Vorstellung fest, daß auch ein künftiger Krieg so mild ver- 
laufen würde, wenn wir die Geschlagenen wären. Das wäre ein schwerer 
Irrtum. Wir würden dann mit Milliarden bezahlen müssen, was wir heute 
an Millionen ausgeben. 
Ein Blatt, was der äußersten Linken angehört, gefällt sich darin, 
fast täglich von dem Moloch des Militarismus zu sprechen, der uns nach-
	        
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