Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

VBes Beische Reich und seine einzelnen Glieder. (November 30.) 189 
ihr ohne weiteres mehr Soldaten. Weiter giebt er uns vielleicht noch einige 
kleine Kompensationen iu Bezug auf Patronenzahl und dergleichen, aber auf 
eine Verstärkung scheint er nicht eingehen zu wollen. 
Ja, wenn wir nun den Spich umkehrten, wenn wir nun ein Paroli 
darauf böten und sagten: wir geben zu, der jetzige Zustand ist nicht erträg- 
lich, ihr wollt uns aber die Kompensation nicht geben, deren wir zu be- 
dürfen glauben — was bleibt uns dann übrig? Wenn wir einen Konflikt 
nicht wollen, dann gehen wir auf die volle dreijährige Dienstzeit zurück, die 
verstümmelte wollen wir nicht länger, wir entlassen keine Dispositions- 
urlauber mehr, sondern schwächen unser Kontingent und die jährliche Zahl 
der Dispositionsurlauber, gehen auf die vollen drei Jahre Dienstzeit zurück 
und fragen nicht, was aus Deutschland wird. (Bewegung links.) Das wäre 
ein durchaus verfassungsmäßiger, aber, glaube ich, überaus gefährlicher 
Weg; die verbündeten Regierungen werden, wie ich annehme, diesen Weg 
nicht betreten. 
Die verstümmelte dreijährige Dienstzeit wirkt ja sehr verschieden: sie 
wirkt auf Truppenteile mit einem starken Etat anders, als auf solche mit 
schwachem Etat; sie wirkt anders in ländlichen Distrikten, sie wirkt anders 
in großen Städten. Aber darüber, daß sie nachteilig wirkt, und daß da 
Abhilfe geschaffen werden muß, ist, glaube ich, kein Zweifel. Und wenn 
wir die Abhilfe in der zweijährigen Dienstzeit zu finden glauben, so ge- 
schieht dies — das wiederhole ich nochmals — immer nur unter der Vor- 
aussetzung, daß wir die Kompensationen bekommen, die wir für nötig halten. 
Nun scheint der Herr Abgeordnete — und ich muß deshalb noch 
einmal darauf zurückkommen — doch nicht ganz gefaßt zu haben, welchen 
Wert wir auf die Verjüngung legen. Wir haben jetzt einen Zustand, bei 
welchem nach Ausweis der Ihnen vorgelegten gedruckten Resultate des Ersatz- 
geschäftes für 1891 etwa 88,000 der Reserve überwiesen worden sind und 
15,000 verfügbar blieben, rund 100,000 Mann, von denen 15,000 etwa 
zu einer Reserveübung eingezogen werden; die anderen gehen militärisch 
ganz leer aus. Es entsteht also ein Zustand, welcher bewirkt, daß gegen 
100,000 Leute jährlich — d. h. eine Million und zweimalhunderttausend 
Leute, wenn ich auch nur die ersten zwölf Jahre der Wehrpflicht in Be- 
tracht ziehe, ohne zu dienen zu Hause bleiben. Von diesen Leuten mag im 
Laufe der Mobilmachung mancher herangezogen werden als Ersatzreservist, 
auch als Landsturmmann, aber er wird erst später herangezogen, er wird 
herangezogen werden, wenn die erste Entscheidung gefallen, das erste Blut 
geflossen ist. Seine Ausbildung wird, wenn man sie auch noch so sehr be- 
schränkt, immer eine gewisse Zeit erfordern. Es bleibt also bestehen, selbst 
wenn ich diese 100,000 Mann auf 60,000 reduziere, indem ich annehme: 
man hat bisher in die Ersatzreserve eine große Anzahl von Leuten ge- 
schrieben, deren körperliche Beschaffenheit es mehr rätlich macht, sie lieber 
zu Hause zu lassen, — daß immer 60,000 Mann jährlich übrig bleiben 
würden, die nicht herangezogen werden. 
Was ist die Folge? Wir brauchen einmal eine größere Truppenzahl, 
um den Zukunftskrieg zu bestehen. Es werden also für diese jungen Leute, 
die unsere jetzige Organisation, um einen trivialen Ausdruck zu gebrauchen, 
hinter dem Ofen sitzen läßt, alte Leute herangezogen. Das ist ein Fehler 
militärisch, wirtschaftlich und finanziell. 
Es ist ein Fehler militärisch, alte Leute heranzuziehen, wenn man 
jüngere hat. Und da ich hier wieder das Wort „alte Leute“ gebrauche, 
so will ich sagen, daß ich es in dieser Debatte ein für alle Mal in mili- 
tärischem Sinne gebrauche. In militärischem Sinne ist ein Mann von 
32 Jahren ein alter Mann, ein Mann, der sich in dem Alter befindet, in
	        
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