190 Daes Derntsthe Reihh und seine einzelnen Glieder. (Dezember 1.)
dem wir anerkennen, daß unsere Unteroffiziere berechtigt sind, eine Zivil-
versorgung zu verlangen, weil im allgemeinen ihre körperlichen Kräfte nicht
mehr ausreichen. Es ist doch notorisch, daß in verschiedenen Schichten der
Bevölkerung die Leute sich schneller konsumieren, als es in den wohlhabenden
Schichten der Fall ist; es ist notorisch, daß es eine große Anzahl von Be-
rufen gibt, die den Menschen schneller konsumieren oder ihn wenigstens
in seiner Kriegsbrauchbarkeit beschränken.
Also wir lassen die jungen Leute zu Hause und ziehen die alten
Leute ein. Der Aeltere ist mir militärisch weniger wert, als der Junge,
nicht bloß körperlich, sondern auch um deshalb, weil er so viel länger aus
gerupe heraus ist, wie der jüngere Mann. Das ist der militärische
achteil.
Nun kommt der wirtschaftliche Nachteil. Ich ziehe die Leute ein,
die Steuerzahler sind, die sich einen Beruf, ein Gewerbe gegründet haben,
die eine Familie haben, die etwas für den Staat leisten, und ich lasse die
Leute zu Hause, die noch nicht so weit sind.
Und endlich finanziell! — Ich ziehe Leute ein, von denen ich im
voraus weiß, daß sie in einem ungleich höheren Maße Invalidenpensionen
und Familienunterstützungen beanspruchen, als wenn ich junge Leute ein-
ziehe. Ich schwäche die Steuerkraft des Landes und belaste das Land
finanziell.
Es ist doch undenkbar, daß man gewillt sein soll, einen solchen Zu-
stand länger fortbestehen zu lassen, und ich halte es für absolut undenkhbar,
daß das in der Bevölkerung populär sein soll! Ich bin der Ueberzeugung,
ohne die Rekrutenmütter oder die Landwehrfrauen zu fragen — im Lande
ist die Ansicht sehr weit verbreitet, daß man mit diesem Zustande brechen
muß. Ich habe das vorige Mal schon angedeutet, daß dieser Zustand zum
großen Teil willkürliche Maßregeln zur Folge hat, daß er eine Ungleichheit
vor dem Gesetz statuiert, daß er in seinen moralischen Folgen hier und da
bedenklich ist, und ich hätte geglaubt, daß die Fortschrittspartei nicht so
heftig gegen diese Veränderung auftreten würde.
Ich entnehme einem Programme der Fortschrittspartei vom Jahre
1878 folgendes: „Entwickelung der vollen Wehrkraft des Volkes (Hört!
hört! rechts) unter Schonung der wirtschaftlichen Interessen; daher Ver-
minderung und gleichmäßigere Verteilung der Militärlast durch Verkürzung
der Dienstzeit und volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht.“ Nun
sage ich: wir wollen hier ändern! — und nachdem wir angefangen haben,
was Sie (links) früher wollten, da sagen Sie: nein, nun wollen wir
nicht mehr!
Der Reichskanzler setzt weiter auseinander, daß im Kriege
jedes Regiment mit 4 Bataillonen ausrücken soll, daß die Reserve-
Divisionen aus Landwehrmännern zusammengesetzt sind und daß
auch ein Teil der Landwehr zweiten Aufgebots und des Landsturms
sofort mobil gemacht werden wird.
1. Dezember. (Reichstag.) Fortsetzung. Dem Abg. Buhl
(nat.-lib.) dankt der Reichskanzler für die sachliche Behandlung
der Militärvorlage und sagt, daß er an der Beschaffung der nötigen
Offiziere und Unteroffiziere keinen Zweifel habe. Ferner sagt er:
Der Herr Vorredner hat die Resolutionen des Reichstags in Bezug
auf die Militär-Strafprozeßordnung und in Bezug auf das Beschwerderecht