Das Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10.) 203
roisches leisten; getragen von Patriotismus und Begeisterung, verrichten —
das zeigt die Geschichte — solche Männer Heldenthaten; aber ein solcher
Haufen von Vaterlandsverteidigern ist noch keine militärische Truppe, weil
ihnen der innere Zusammenhang fehlt, und es ist eine begreifliche Schwierig-
keit für jemand, der niemals zur Truppe in Beziehungen gestanden hat, sich
dieses Imponderabile ganz klar und gegenwärtig zu machen. Ich erkenne
ja an, daß der Herr Abgeordnete Richter die Militaria mit großem Fleiße
studiert. Ich glaube auch, er hat es als Militärstatistiker zu einem ziem-
lich hohen Grade gebracht; aber soldatische Dinge zu beurteilen, halte ich
ihn eben um deshalb doch nicht fähig, weil ihm diese innere Kenntnis von
dem, was das Wesen einer Truppe macht, fehlt. Ich will nicht sagen, daß
Zivilisten sie nicht auch erwerben können. Wir haben leuchtende Beispiele
davon. Ich will an den Professor Bernhardi erinnern, der nächst Clause-
witz wohl der größte Militärschriftsteller der Welt war. Das setzt aber vor-
aus, daß ein solcher Mann militärische und kriegsgeschichtliche Studien macht
und mit Soldaten umgeht, um solches Urteil zu gewinnen. Daß der Herr
Abgeordnete Richter bei seinen vielfachen Beschäftigungen nicht noch die Zeit
hat, Kriegsgeschichte zu studieren, ist mir ganz begreiflich; ich glaube aber,
so lange er das nicht thut, aufrecht erhalten zu müssen, daß er von dem
innersten Wesen der Truppe, von dem innersten Wesen dessen, was den Sol-
daten macht, nur unvollkommene Vorstellungen besitzt.
Er hat im Verlaufe seiner langen Rede gesagt, ja, wir hätten doch
keine Autoritäten für uns, oder wir hätten keine Autoritäten gegen uns.
Stimmt es so? — Wir hätten keine militärischen Autoritäten für uns. Ja,
das ist ganz natürlich; in solchen Organisationsfragen — das habe ich mir
neulich schon anzudeuten erlaubt — gibt es nur wenig Offiziere, die das
Ineinandergreifen in der Armee so übersehen, daß sie wissen, wo eine Aen-
derung an einer Stelle schließlich in letzter Instanz wirkte. Es kommen da-
bei subjektive Erfahrungen, auch Geschmacksrichtungen in Frage; und ich
glaube nicht, daß jemals eine wesentliche Aenderung in der Organisation
der Armee durchgeführt worden ist, mit der alle Offiziere, selbst die, welche
als Autoritäten zu gelten den Anspruch machen können, einverstanden ge-
wesen wären. Es bleibt also in diesen Dingen nur übrig, daß zuletzt ent-
schieden wird; und das kann, da wir nicht in einer militärischen Republik
leben, nicht durch Abstimmung und Votieren gemacht werden, sondern die
Stelle, die die Verantwortung trägt, muß aus vollem Verständnis der Sache
ihre Entscheidung treffen.
Nun hat man auch — und das ist hier der Herr Abgeordnete Richter
nicht gewesen — den jetzigen Vertretern dieser Vorlage entgegengehalten: ja,
was seid ihr gegen die Männer, die die Reorganisation von 1861 gemacht
haben; das waren Moltke und Roon! Nun, als diese Herren die Reorga-
nisation von 1861 machten, hatten sie von ihrer Berühmtheit, unter deren
Glorie sie uns vor Augen stehen, noch nichts, sie waren bis dahin unbe-
kannte Stabsoffiziere oder junge Generäle.
Er meinte dann, ja, die Vorlage, die wir brächten, wäre doch ein
verzweifeltes Ding, und die Verantwortung dafür zu tragen wäre schwer,
wir möchten uns dessen bewußt sein. Ich, meine Herren, für mein Teil bin
von der Notwendigkeit dieser Vorlage für die Fortexistenz Deutschlands so
überzeugt, daß, wenn der gesamte Reichstag die Güte haben wollte, mir
das nicht geringe Maß seiner Verantwortung auch noch auf die Schultern
zu legen, ich bereit wäre, sie allein zu tragen und für die Vorlage ein-
zustehen.
Der Herr Abgeordnete hat den Umstand, daß die verbündeten Re-
gierungen jetzt die zweijährige Dienstzeit für zulässig halten, als einen Tri-