216 Die Gesterreichisc-Augarische Monarchie. (Februar 22.).
zusteht, lehnt die Uebernahme ab. Madaraß, ebenfalls von der
Linken, übernimmt sodann den Vorsitz mit der Forderung, der
Ministerpräsident solle eine Bürgschaft dafür übernehmen, daß die
feierliche Cröffnung in Ofen nur unter der Trikolore erfolgen
werde. Der Ministerpräsident Graf Szapary erklärt, die Eröffnung
werde unter Verantwortung der Regierung nach dem fünfund-
zwanzigjährigen Zeremoniell stattfinden. Madaraß verläßt hierauf
den Präs dententisch; Janicsari führt als Alterspräsident die rein
formale Sitzung zu Ende.
22. Februar. In der Ofener Hofburg findet die feierliche
Eröffnung des ungarischen Reichstags durch den Kaiser statt.
Die Thronrede gedenkt der fünfundzwanzigsten Jahreswende des
1867er Ausgleiches, weist auf die großen Fortschritte Ungarns auf allen
Gebieten hin und gibt der Zuversicht auf eine ruhige und stetige Entwicke-
lung auf dieser bewährten und vor allen Erschütterungen zu bewahrenden
Grundlage auch in Zukunft Ausdruck. Obwohl die Aufrechterhaltung des
hergestellten Gleichgewichts im Staatshaushalt auch weiterhin notwendig sei,
ermögliche die günstigere Lage der Finanzen die Pflege der verschiedenen
Bedürfnisse des Staatslebens. Seit Jahrzehnten trage Ungarn sowie die
ganze Monarchie die Nachteile der ungeregelten Valuta. Die erstarkte Fi-
nanzkraft des Staats ermögliche, nunmehr bei der günstigen Gestaltung der
Lage des allgemeinen Geldmarktes die Valutaregelung anzubahnen. Die
Regierung werde bestrebt sein, die bezüglichen Vorschläge ehenstens zu unter-
breiten. Die Thronrede kündigt eine gerechte Steuerreform an, ohne Stei-
gerung der öffentlichen Leistungen, ferner Vorlagen zur Neuorganisierung
der Verwaltung, die eine der wichtigsten Aufgaben dieses Reichstags bleibe,
sowie Vorlagen zur Ordnung der Rechtsverhältnisse der Beamten, zur Re-
gelung des Vereinsrechtes und Versammlungsrechtes, zur Feststellung der
Gerichtsbarkeit über die Abgeordnetenwahlen, Kodifizierung des Strafpro-
zesses, Zivilprozesses und Zivilrechts. Weitere Vorlagen betreffen die
Hebung des öffentlichen Unterrichts, die Fördernng der Volkswirtschaft, des
Verkehrswesens und der Landwirtschaft, endlich Religionsangelegenheiten.
Die Thronrede spricht die Hoffnung und Erwartung aus, daß die Kirche
und der Staat ihren Beruf in der traditionellen Harmonie erfüllen würden,
welche Jahrhunderte im Interesse und zum Wohle der beiden Faktoren in
Ungarn bestanden habe, und fährt fort: „Mit Befriedigung können wir
sagen, daß die freundschaftlichen guten Beziehungen zu den auswärtigen
Mächten, deren wir am Schlusse des vorigen Reichstags gedachten, auch
gegenwärtig unverändert fortbestehen. Die Aufgabe des Reichstags ist, die
gesamte Volkskraft dem großen Werk der inneren Neugestaltung zuzuwenden
und mit Benutzung der Zeit des Friedens, sowie der geordneten finanziellen
Verhältnisse die geistigen und materiellen Kräfte der Nation zu entwickeln
und die Verhältnisse derart zu ordnen und zu konsolidieren, daß die Nation
auch in schwereren Zeiten fähig sei, alle Widerwärtigkeiten zu bekämpfen."
22. Februar. In Hernals bei Wien findet eine Massenver-
sammlung beschäftigungsloser Arbeiter statt, um gegen die Verzöge-
rung der Ausführung der Wiener Verkehrsanlagen zu protestieren.
Es kommt zu einigen Tumulten.