Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Bie Gesterreichisch-Augzarische Monarchie. (Juni 21.) 231 
sind Sie auch sicher, daß Sie im Amte bleiben?"“ Ich sah den Kaiser von 
Rußland erstaunt an und sagte ihm: „Gewiß, Majestät, ich bin dessen ganz 
sicher, ich werde mein Leben lang Minister bleiben"; denn ich hatte keine Ahnung 
davon, daß eine Aenderung bevorstehe, während der Zar selbst, wie die 
Frage zeigt, von der Wandlung, die sich vollziehen sollte, bereits unterrichtet 
sein mochte. Diese persönliche Autorität und das Vertrauen fehlen bisher 
meinem Nachfolger. Und daraus, daß ein solcher Faktor fehlt, welcher auf 
die russische Politik Einfluß zu nehmen vermag, erklärt sich die Verände- 
rung, welche seit meiner Demission in der politischen Situation Europas 
eingetreten ist.“ 
„Und halten Eure Durchlaucht diese Veränderung für eine Verschlim- 
merung?!“ 
Fürst Bismarck sagte mit großer Entschiedenheit: „Ja. Der Draht 
ist abgerissen, welcher uns mit Rußland verbunden hat. Ich betrachte als 
das Hauptziel der Politik die Erhaltung des Friedens. Und wohin würde 
es kommen, wenn wir nach einem glücklichen Kriege mit Rußland zwei 
Nachbarn hätten, die uns mit ihren Revanchegedanken immer bedrohen 
würden, Einer vom Westen und Einer vom Osten. Der Krieg mit Frank- 
reich mag unausweichlich sein. Es handelt sich da immer darum, daß der 
Mann sich dort finde, welcher das Pulver in das Wasser — der Fürst wies 
dabei auf sein Glas — schüttet, damit es ausschäumt. Das ist eine Frage, 
der wir im Laufe der Jahre kaum ausweichen werden. Anders ist es jedoch 
mit Rußland. Deutschland hat nicht das geringste Interesse daran, einen 
Krieg mit Rußland zu führen, und umgekehrt. Zwischen uns liegt nicht 
der geringste Gegensatz der Interessen. Wir haben von einander nichts zu 
wünschen und von einander nichts zu gewinnen. Auch Oesterreich ist ein 
friedfertiger Staat, und gerade Oesterreich könnten wir dienen, wenn der 
Draht, der uns mit Rußland verband, nicht abgerissen wäre."“ 
ger „Durchlaucht, hat sich die Lage auch durch politische Thatsachen ver- 
immert!“ 
„Wie gesagt, in erster Reihe durch die Schwächung des deutschen 
Einflusses auf die russische Politik. Der deutsche Botschafter in Petersburg 
hat jetzt viel weniger Einfluß als früher. Dazu treten noch andere Um- 
stände, insbesondere die Wandlung in der polnischen Politik Preußens. Man 
hat einen Polen zum Erzbischof gemacht und ihm eine Stelle gegeben, welche 
im Interesse der deutschen Politik einem deutschen Katholiken gebührt hätte, 
Gewiß hat dieser polnische Bischof in Elbing eine staatstreue Rede gehalten. 
und er hat bezüglich der deutschen Nation besser gesprochen, als ein Pole 
es sonst thut, aber doch wieder den Gegensatz zu Rußland ziemlich deutlich 
hervorschimmern lassen. Die Politik gegenüber der Polen in Posen hat das 
Vertrauen, welches unsere Regierung früher in Rußland genoß, geschwächt 
und unseren Einfluß ebenfalls herabgemindert.“ 
„Und ist, angesichts dieser Bedenken, welche Eure Durchlaucht gegen 
die jetzige deutsche Politik hegen, nicht bei Ihnen das Bedürfnis vorhanden, 
wieder die Leitung zu übernehmen?“ 
„Das ist ganz aussichtslos. Ich bin in diesem Jahre nicht in den 
Reichstag gegangen, nicht weil ich mich körperlich nicht rüstig fühle, im 
Gegenteil. Ich war beinahe ein ganzes Jahr vor meiner Demission nicht 
in Berlin gewesen, habe mich sehr wohl gefühlt, was ich immer daran er- 
kenne, wie es mir mit dem Reiten geht. Ich wäre sehr gut im stande ge- 
wesen, kraft meiner schon früher gewonnenen Autorität im gleichen Geleise 
den Wagen fortzuziehen. Die Politik ist keine Wissenschaft, wohl aber eine 
Kunst, zu deren Ausübung Erfahrung gehört. Aber jetzt — wer weiß, ob 
ich in Rußland das alte Vertrauen, welches ich früher genossen, wieder 
 
	        
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