Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

16 JNas Heutsche NReich und seine einzelnen Glieder. (Januar 20.) 
vereinbar erwiesen hat mit der Rücksichtnahme auf das Finanzinteresse der 
einzelnen Gemeinden. 
Ich komme endlich, meine Herren, zu der Frage des Privatunter- 
richts. Die Ueberweisung aller Kinder in die öffentliche Volksschule ist, wie 
ich kaum hervorzuheben brauche, kein verfassungsmäßiges Recht. Ebenso gibt 
die Verfassung weitgehende und eingehende Bestimmungen darüber, wo und 
uuter welchen Verhältnissen Privatunterricht erteilt werden darf. Es kann 
außerdem keinem Zweifel unterliegen, daß eine etwa gewollte gesetzliche Aus- 
schließung des Privatunterrichts nach Lage unserer sozialen Verhältnisse, 
unserer Gewohnheiten und unserer Auffassungen eine absolute Unmöglichkeit 
wäre. Die Frage bezüglich des Privatunterrichts stellt sich also nicht so, 
ob Privatunterricht überhaupt erteilt werden soll oder nicht, sondern einfach 
so: soll bezüglich der Konzessionierung und Genehmigung desselben wie bis- 
her das subjektive Ermessen der Unterrichtsverwaltung und die Entscheidung 
der behördlichen Organe allein maßgebend sein, oder soll auch hier versucht 
werden, diese Materie auf allgemeine, gesetzliche, rechtliche Kontrolle zu stellen? 
(Sehr gutl) 
Ich habe mich für das letztere entschieden; ich sehe darin keine Ge- 
fahr, und jedenfalls muß die Gefayr, wenn sie besteht, mit in Kauf genommen 
werden; denn das ist verfassungsmäßiges Recht, und dies auszuführen sind 
wir verpflichtet. (Bravol) 
Meine Herren, ich habe mir aber auch gesagt, daß man dieses sub- 
jektive Ermessen nicht umsetzen darf in die Willkür des einzelnen bei dieser 
Frage, und deswegen finden Sie im Entwurf die Bestimmung, daß die 
künftig etwa zu errichtenden Privatschulen genau auf derselben Grundlage 
organisiert sein müssen wie die öffentlichen Schulen, daß ihre Lehrer dieselbe 
Befähigung nachweisen müssen wie die Lehrer der letzteren, daß sie nach dem 
Lehrplan, welcher von der Behörde genehmigt ist, zu arbeiten haben und 
der Aufsicht der Behörde unterstehen, und daß endlich die Benutzung der 
Privatschulen und des Privatunterrichts von der Beitragspflicht zu den 
öffentlichen Schulen nicht befreit. 
Meine Herren, ich habe mir gestattet, Ihnen in kurzem, ohne die 
Absicht erschöpfender Behandlung, und auch ohne ermüdendes Eingehen auf 
Details, einen Ueberblick über die Grundzüge des neuen Gesetzes zu geben. 
Sie werden finden, daß das historisch gewordene Recht und der bestehende 
Zustand überall mit Achtung und mit schonender Hand behandelt sind. Aber 
ich hoffe, daß Sie mir auch die Anerkennung nicht versagen werden, daß 
der Entwurf auf streng verfassungsmäßigen Grundlagen beruht. 
Ich bitte um eine wohlwollende Prüfung desselben, und ich hoffe, 
daß wir uns dann verständigen werden über die endliche gesetzliche Regelung 
einer Materie, die ihrer auf das allerdringendste bedarf. (Bravol) 
20. Januar. Der Kaiser reist nach Kiel zur Vereidigung 
der Marine-Rekruten. Nach Beendigung derselben hält der Kaiser 
etwa die folgende Ansprache: 
„Der gnädige Gott und Ich haben euren Eid gehört. Vor Meinen 
übrigen Landeskindern seid ihr dazu berufen, die deutsche Ehre auf Meinen 
Schiffen ins Ausland zu tragen. Unsere Marine ist noch klein, aber der 
Kern liegt in der guten Disziplin und in dem Gehorsam der Mannschaften 
gegen den obersten Kriegsherrn und die Vorgesetzten. Wo ihr auch sein 
möget, im In= und Auslande, ob zu Kolonialzwecken oder sonst wissenschaft- 
lichen Expeditionen, benehmet euch stets eingedenk eurer Pflichten als deutsche 
Matrosen. Cure Vorfahren haben sich schon einen guten Ruf im Auslande
	        
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