Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

236 Bie Gesterreichisch-Angarische Monarchie. (Oktober 23.) 
es begründe doch einen gewissen Unterschied, da dies die vertrauliche Form 
der Mitteilung zwischen zwei Regierungen sei. Derlei Depeschen pflegen 
anderen Regierungen offiziell nicht mitgeteilt zu werden; so habe denn auch 
das Auswärtige Amt keine amtliche Kenntnis von der in Rede stehenden 
russischen Demarche. Es liege daher weder für die Regierung noch für je- 
mand anderen eine Veranlassung vor, sich darüber zu äußern, und zwar 
vorerst um so weniger, als, was wohl das Erste sei, die Pforte selbst noch 
keine Antwort erlassen zu haben scheine. Besondere Erklärungen in dem 
vom Referenten angedeuteten Sinne seien übrigens seitens Oesterreich-Ungarns 
bei der Pforte deshalb nicht notwendig, weil dort nicht der geringste Zweifel 
über die diesseitige Auffassung der bulgarischen Angelegenheiten bestehen 
könne. Die Regierung habe der Pforte sowohl wie Bulgarien jeder Zeit 
angeraten, im eigenen wohlverstandenen Interesse möglichst gute Beziehungen 
zu pflegen, und namentlich Bulgarien empfohlen, das Verhältnis zum Su- 
zerän zu achten. Bei den wohlwollenden Gesinnungen des Sultans für das 
Fürstentum sei nicht daran zu zweifeln, daß dessen gegenwärtige freundliche 
Stimmung und die befriedigenden Beziehungen Bulgariens zu der Pforte 
von Dauer sein werden. Ein direktes Eingreifen in dergleichen diplomati- 
schen Zwischenfällen habe immer zwei Seiten. Es sei leicht, eine Depesche 
zu schreiben, aber durch einen solchen Schritt werde dann oft die Angelegen- 
heit erst recht aufgebauscht, welche sonst zu keinerlei weiteren Konsequenzen 
geführt hätte. Ob und was andere Mächte bezüglich des russischen Vor- 
gehens in Konstantinopel gethan hätten, davon habe er keine Kenntnis. Er 
glaube aber nicht, daß irgendwo der Wunsch bestehe, sich in diesen Schrift- 
wechsel zwischen Rußland und der Türkei einzumischen."“ 
In der österreichischen Delegation greift der Jungtscheche 
Eym Deutschland und den Dreibund an. 
Er spricht über den Dreibund zunächst in Beziehung auf den Handel. 
Oesterreich habe große Konzessionen machen müssen, z. B. in Betreff seines 
Weinbaues. Schon im ersten Jahre, seit die Handelsverträge ins Leben 
traten, habe sich ein Rückgang des österreichischen Handels gezeigt. Das 
Deutsche Reich neige dahin, einen Vertrag, der den österreichischen Handel 
schädigen würde, mit Rußland abzuschließen. Redner bestreitet alsdann die 
Popularität des Dreibundes. Das tiefe Mißtrauen des böhmischeu Volkes 
gegen das deutsche Bündnis beruhe auf der Geschichte der Jahrhunderte. 
Die Böhmen wüßten ihre slavischen Gefühle sehr wohl mit den Pflichten 
für den Staat zu vereinigen. Man könne ihnen aber nicht verübeln, daß 
sie sich gegen die Umarmung von Seiten Deutschlands wehren. Das böh- 
mische Volk empfinde keinen Haß gegen Deutschland. Es gönne Deutsch- 
land von Herzen die nationale Einigung und wünsche ein gutes nachbar- 
liches Verhältnis zu Deutschland, jedoch keine allzu lange Bundesgenossen- 
schaft mit ihm. Das tschechische Volk sei voll Mißtrauen gegen Deutschland; 
es vergesse nie, was Deutschland den Slaven angethan. Der Panslavismus 
existiere nicht; wohl aber sei der Pangermanismus eine Gefahr für Oester- 
reich. Die Führer der Polen und der Deutschen, Jaworski und Plener, 
antworten ihm. Ebenso der Minister Kalnoky, der u. a. äußert, es sei 
niemand da, der nicht gute, bessere und beste Beziehungen zu Rußland 
wünsche. Die österreichische Politik aber, die von der großen Mehrheit der 
Bevölkerung getragen werde, dürfe nicht geändert werden. 
23. Oktober. Der österreichisch-ungarische Botschafter in Ber- 
lin, Graf Szechenyi, wird von seinem Posten abberufen und durch 
Herrn von Szoegyeny-Marich ersetzt.
	        
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