240 Bie Gesterreichisz- Angarische Monarchie. (November 18.)
die Deutschen selbstverständlich in der Minorität sind. (Rufe seitens der
Jungtschechen: Sie sind in der Majorität auch jetzt nicht.) Aber in Oester-
reich sind wir nicht in der Minderheit gegen die Tschechen. Wir kennen
keinen böhmischen Staat, wir halten es für Hochverrat, vom böhmischen
Staate zu sprechen. (Stürmischer Widerspruch der Jungtschechen.) Sie
sprechen von unpassenden Aeußerungen Ratkowskys, die ich bedauere, aber
ein 6 gefährlicher Hochverräter ist er nicht, wie Sie und Herr Professor
asaryt.“" 6
Es ist, schreibt das „Wiener Tagblatt", fast ein Ding der Unmög-
lichkeit, den Effekt zu schildern, welchen diese letzten Worte des Redners auf
die ihn umringenden Jungtschechen ausübte und die stürmischen und auf-
regenden Zwischenfälle getreu wiederzugeben, welche an diese Worte des
Redners sich schlossen. Zahllose Aeußerungen der Wut, Entrüstung und der
ins Maßlose gesteigerten Erregung gingen in der tosenden Brandung dieses
Aufruhrs verloren. Auf der Gallerie hörte man nur schrill durcheinander
rufende, schreiende und kreischende Stimmen. Und mitten aus diesem Ge-
woge in einer hocherregten Menschenschar sah man manche heftig gestiku-
lierende Arme emporgestreckt, die sich in drohender Haltung gegen den Red-
ner richteten. Es gab nicht ein einziges Mitglied des Hauses, das während
der Rede des Abgeordneten Menger und der derselben folgenden Scene auf
seinem Platze geblieben wäre. Die Jungtschechen gebärdeten sich wie rasend,
und mit dem Aufgebote aller Lungenkraft schrien sie in den Saal hinein
und gegen Menger gewendet: „Widerrufen! Widerrufen!"“ Alle Bande par-
lamentarischer Ordnung waren gelöst, rat= und hilflos stand Präsident
Smolka diesem elementaren Wutausbruche der Jungtschechen gegenüber.
Und ihnen assistierte eine Reihe südslavischer Abgeordneter. Die Abgeord-
neten der Linken erhoben Gegenrufe wie: Wir müssen uns auch alles ge-
fallen lassen! Abgeordneter Morré: Jetzt wollen wir einmal deutsch reden!
Weiter sprechen! (Stürmische Rufe rechts: Widerrufen! Links: Nicht wider-
rufen! Das Präsidium soll Ruhe machen!) Abgeordneter Morré: Wir
brauchen keine Revolver! Nicht widerrufen! Bravo Menger! Das ist ein
Mann! Solche brauchen wir mehrere, dann werden die drüben nicht mehr
viel reden! (Lang andauernder Beifall links, lärmender Widerspruch rechts.
RNufe: Ruhe! Ruhet) Abgeordneter Morré: Fürchten Sie nicht, deutsch zu
sein. Wenn es die paar Tschechen nicht anders haben wollen, so sollen a9n
es so haben! Die Schar der Abgeordneten wogte hin und her, man sah
hochgerötete Gesichter, erhobene Arme und vernahm nur Schreien und Toben.
Abgeordneter Menger versuchte wiederholt, den Lärm zu übertönen und sich
vernehmbar zu machen — aber vergebens. Man hörte aus seiner Rede nur
abgerissene Sätze. Ich erkläre Ihnen ... (Stürmische Rufe rechts; Wider-
rufen! Sonst lassen wir Sie nicht weiter reden. — Rufe links: Nur weiter!
Das ist der rechte Ton für diese Herren!). Abgeordneter Menger (mit erho-
bener Stimme): . daß Sie ein Kulturvolk sind, beweisen Sie durch Ihr
jetziges Vorgehen nicht! (Stürmischer Beifall links; großer Lärm im ganzen
Hause. Rufe: Ruhe! Ruhe! Der Präsident will reden!) Abgeordneter Ghon:
So behandeln Sie die Deutschen in Böhmen. (Stürmische Zurufe links:
Jawohl! Die Wahrheit haben eben die Herren nicht gern. Das waren end-
lich die Worte zur rechten Zeit.)
Präsident Smolka (zu wiederholten Malen das Glockenzeichen gebend):
Ich habe mir das Stenogramm geben lassen und ersehe daraus, daß der
Herr Abgeordnete gesagt hat: Wir kennen kein böhmisches Staatsrecht. Von
einem böhmischen Staatsrecht zu sprechen, ist Hochverrat. Sie sind Hoch-
verräter.“ (Stürmische Zurufe links: Jawohl, so ist es; das waren die
rechten Worte.) Ich muß Sie deshalb zur Ordnung rufen. (Lebhafter