Das Dentsche Reithh und seine einzelnen Glieder. (Januar 22.) 17
erworben, haltet denselben aufrecht und steht treu zu Kaiser und Reich, wo
es auch immer sei, und vergeßt nicht, was euch eure Eltern schon gelehrt
haben, die Religion. Dann werdet ihr euch auch wohl fühlen in euren
Dienstverhältnifsen.“
21. Januar. (Abgeordnetenhaus.) Erste Lesung des Etats,
die hier und da zu einer Generaldebatte über das Volksschul—
gesetz auswächst. Namentlich die Abgg. Rickert und Hobrecht
greifen es an. Der Ministerpräsident Graf Caprivi erwidert:
Der Herr Abg. Rickert hat gemeint, die gegenwärtige Regierung habe
eine Schwenkung ihrer Politik vorgenommen, und hat dies damit motiviert,
daß das Volksschulgesetz ihm nicht zusagt. Ich habe schon an einer anderen
Stelle ausgesprochen, daß ich nicht für richtig halte, wenn heutzutage die
Regierung eines monarchischen Staats sich ausschließlich auf bestimmte Par-
teien stützt. Es tritt in unserer Parteibildung das Moment, die wirtschaft-
lichen Motive hervorzukehren, stark hervor, und je mehr dies geschieht, um
so mehr liegt in der Thätigkeit der Parteien eine gewisse Gefahr, daß das
Ganze außer acht gelassen wird, daß man zu Extremen kommt, die nachher
in andere Extreme ebenso schnell umschlagen. Ich glaube auch, daß in einem
wesentlich monarchischen Staate, wie der unfsrige es ist, eine Regierung sich
niemals verpflichten kann und darf, auf die Dauer mit gewissen Parteien
zu gehen, und ich halte noch heute an dem Standpunkt fest: man soll das
Gute nehmen, wo man es findet. Die Herren von der freisinnigen Partei
haben mir diese Aeußerung bei jeder Gelegenheit, wo sie glaubten, daß das
Gute mehr nach ihrer Seite lag, vorgehalten. Nun, wo der Pendel nach
der Anschauung des Herrn Abg. Rickert etwas mehr nach der anderen Seite
schwingt, und ob er darin Recht hat und wie weit dies begründet ist, das
wird sich bei der Debatte über das Volksschulgesetz zeigen — nun sollen wir
ae patn Grundsatz, das Gute zu nehmen, wo es sich findet, nicht mehr
esthalten.
22. Januar. Fortsetzung. Die Abgg. Frhr. v. Zedlitz (frei-
kons.) und Sattler (nat.-lib.) bekämpfen von neuem das Volks-
schulgesetz. Graf Caprivi sagt in seiner Erwiderung:
Neben diesen Motiven, den Gesetzentwurf einzubringen, hat die Staats-
regierung im vorigen wie in diesem Jahre das Motiv geleitet, soweit als
es möglich ist, mit unseren katholischen Mitbürgern zum Frieden zu gelangen
und einen Zustand in der Schule zu schaffen, mit dem auch die katholische
Kirche, soweit es möglich ist, zufrieden sein kann. Die jetzige Regierung
hat den Kulturkampf nicht geführt; wir haben das Ende, den Abbruch des
Kulturkampfes übernommen. Wir haben das Bewußtsein, daß wir in einer
sehr schweren Zeit stehen. Wir stehen einer Entwickelung von Kräften im.
Innern des Staates gegenüber, wie ich mir schon wiederholt erlaubt habe,
auszuführen, gegen die wir alle Mittel zusammen nehmen müssen.
Daß zu den wesentlichsten Mitteln dieser Bewegung gegenüber die
Schule gehört, ist keine Frage. Daß aber die Schule auch gerade von diesem
speziellen Gesichtspunkte aus der Religion nicht entbehren kann, wenn sie ihre
Aufgabe erfüllen soll, ist ebenso sicher.
Braucht die Schule die Religion, so wird für die überwiegende Mehr-
zahl aller Preußen keine Frage sein, daß die Schule das Christentum braucht.
Braucht die Schule aber das Christentum, so kann sie es nicht ergreifen und
erfassen ohne Konfessionen.
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXIII. 2