298 Rußland. (Januar 30.—Juni 7.)
30. Januar. (Petersburg.) Der Kommunikationsminister
von Hübbenet wird seines Amtes enthoben unter Belassung in
seiner Stellung als Staatssekretär und Senator. ·
28. Februar. (Petersburg.) Der Direktor des Eisenbahn-
Departements, Wirkliche Staatsrat Sergius Witte, wird zum Ver-
weser der Verkehrsanstalten ernannt.
13. April. Ukas über die Emission von 75 Millionen Kredit-
rubeln 4½ proz. innerer konsolidierter Eisenbahnanleihe.
8. April. Der Finanzminister v. Wyschnegradsky verfällt
während seines Vortrages beim Kaiser in eine schwere Erkrankung.
Während des Urlaubs von drei Monaten, den Herr v. Wyschne-
gradsky nehmen muß, wird sein Adjunkt Thörner mit der Stell-
vertretung betraut.
13. April. Ein kaiserlicher Ukas untersagt allen ausländi-
schen Einwanderern, auch denen, welche die russische Unterthanen-
schaft annehmen, sich hinfort im Gouvernement Wolhynien außer-
halb der Städte anzusiedeln und unbewegliches Gut zu erwerben.
Von dieser Verordnung sind nur die Bekenner der orthodoxen Kon-
fession ausgenommen.
Anf. Mai. Ein keaiserlicher Ukas setzt scharfe Strafen gegen
„unerlaubten Privatunterricht“ in den westlichen Gouvernements fest.
21. Mai. Die russische Kaiserfamilie reist zu der am 26. Mai
stattfindenden goldenen Hochzeit des dänischen Königspaares nach
Kopenhagen.
7. Juni. Zusammenkunft des Zaren mit dem deutschen
Kaiser in Kiel. Vgl. Deutschland.
Die Wiener „Polit. Korresp.“ bringt folgenden offiziösen Brief aus
Petersburg:
Vor der Begegnung des Kaisers Alexander III. mit Kaiser Wilhelm II.
in Kiel wurde in der europäischen Presse vielfach der Umstand erörtert, daß
der Gegenbesuch des Zaren für den Besuch des deutschen Kaisers in Narwa
eine so lange Verzögerung erfuhr, und auch bei der politischen Würdigung
der jetzigen Zusammenkunft wird diese Thatsache in den Kalkul gebracht.
Es liegt auf der Hand, daß der Aufschub des Gegenbesuchs nicht durch Zu-
fälligkeiten, sondern durch politische Erwägungen des Zaren veranlaßt
wurde. Ihr Korrespondent glaubt gut unterrichtet zu sein, wenn er diese
Erwägungen in der nachstehehenden Weise zu kennzeichnen versucht. Die
Unterlassung einer baldigen Erwiderung des Besuchs von Narwa erschien
vornehmlich aus dem Grunde geboten, weil ein entgegengesetztes Verhalten
von der öffentlichen Meinung unzweifelhaft in einem Sinne ausgelegt
worden wäre, welchem die politischen Gesiunungen der maßgebenden Kreise
St. Petersburgs nicht entsprechen und mit den Beziehungen, welche Rußland
um jene Zeit zu Frankreich zu pflegen begann, sowie mit der Haltung,
welche Rußland durch die Stellung Deutschlands an der Spitze des Drei-