Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Das Dentsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 28.) 23 
daß nunmehr die Zentrumspartei aus Opportunitätsrücksichten umgefallen 
ist. Wie war damals die Sache? Damals hat nicht Herr Richter gesprochen, 
sondern Herr Zelle, und Herr Zelle sagte (stenographischer Bericht Seite 299): 
„Meine politischen Freunde und ich begrüßen es natürlich immer mit Freuden, 
wenn eine alte Forderung der Verfassung endlich in Erfüllung geht. Wir 
haben auch nichts dagegen, daß diese Erfüllung, diese Vorlage des Unter- 
richtsgesetzes keine vollständige ist. Wir geben zu, daß das höhere Schul- 
wesen seiner Art, seiner Verwaltung, seiner Stellung nach sehr wohl sich ge- 
trennt behandeln läßt von der Volksschule.“ — Also Sie haben damals weiß 
genannt, was Sie heute, wo Ihnen die Vorlage nicht paßt, schwarz nennen. 
Der Herr Abgeordnete Windthorst hat dann in der Kommission Ver- 
anlassung genommen, die Verfassungsfrage von neuem zu erörtern. In der 
Kommission war die freisinnige Partei vertreten durch die Herren Zelle und 
Knörcke. Herr Knörcke hat in der Kommission das Wort gegen den Ab- 
geordneten Windthorst, nicht für denselben, ergriffen, er hat sich auf die 
Seite der Herren v. Eynern und Graf d'Haussonville gestellt und ausweislich 
des Protokolls der ersten Situng Seite 3 — ich zitiere wörtlich, meine 
Herren, weil ich es für notwendig halte, alles zu beweisen, was ich behaupte; 
auf anderen Seiten hält man das leider nicht für so notwendig — gesagt: 
„Ich schließe mich den Ausführungen der Herren v. Eynern und Graf 
d' Haussonville an: stückweise Regelung auch auf dem Gebiete des Volksschul- 
wesens ist zulässig."“ 
Sie haben damals gegen den Herrn Abgeordneten Windthorst ge- 
stimmt. Sie haben damals also weiß genannt, was Sie heute schwarz nennen, 
und nicht bloß damals haben Sie es gethan, nein, als zuerst nach der 
Meinung des Abgeordneten Windthorst ein Angriff auf die Verfassung ge- 
macht wurde, als im Jahre 1872 das Schulausfsichtsgesetz erging, das Ihnen 
ja allerdings paßte, da hätten Sie schon auftreten und sagen müssen: das 
ist ja verfassungsmäßig unzulässig, daß man einzelne Materien herausgreift. 
Damals haben Sie aber das weiß gefunden, was Sie jetzt schwarz nennen, 
wo Ihnen die Sache einmal nicht paßt, damals haben Sie alle, einschließ- 
lich Herrn Richter, für die Vorlage gestimmt. Seit dem Jahre 1872 sind 
eine ganze Menge Schulgesetze gekommen, die teilweise Materien über das 
Volksschulgesetz regelten, wo aus den Seiten des Zentrums heraus verfas- 
sungsmäßige Bedenken geltend gemacht wurden, da haben Sie aber nach 
meiner Erinnerung nicht diese Bedenken gehabt. Also, meine Herren, ist es 
nicht ein unerhörter Vorwurf, wenn Herr Richter es wagt, nach alledem 
meinen Freunden vorzuwerfen, daß sie aus Opportunitätsrücksichten heut 
nicht mehr die frühere Meinung haben? Ich muß das mit Entschiedenheit 
zurückweisen. 
Was nun aber, meine Herren, die Stellung meiner politischen Freunde 
anlangt, so will ich Ihnen positiv das auch sagen, wie wir zu der Sache 
stehen. Es ist richtig, der Herr Abgeordnete Windthorst hat damals mit 
aller Schärfe die Verfassungsfrage diskutiert, aber selbst Herr Windthorst 
hat am Schluß seiner Rede gemeint, im Notfall müßten wir uns damit 
begnügen, ein Gesetz zu machen, welches die Stellung der Lehrer sichert. Der 
Herr Abgeordnete Brüel hat gemeint, auf die formale Frage der Verfas- 
sungswidrigkeit wolle er jetzt kein Gewicht legen, materiell wäre es jedenfalls 
gerechtfertigt, das Volksschulwesen für sich zu regulieren. In der Kom- 
mission ist diese Meinung noch entschiedener hervorgetreten; ich kann Ihnen 
hier den authentischen Beweis für unsere Stellung geben. Der Herr Kollege 
Rintelen hat über die Verhandlungen der vorjährigen Schulgesetzkommission 
eine zusammenfassende Arbeit geschrieben, deren Manuskript in meiner Hand 
gewesen ist, bevor man überhaupt wußte, ob ein Volksschulgesetzentwurf in
	        
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