Aebersicht der politischen Entwickelnng des Zahres 1892. 333
diese Besorgnisse in der Praxis sehr wenig Bedeutung hätten. Bei
einer konfessionellen Volksschule müßten religiös und kirchlich ge-
sinnte Lehrer vorausgesetzt werden und gegen willkürliche Ver-
folgungen sei auf Grund dieses Gesetzes die Regierung in der Lage,
jeden Lehrer zu schützen. Die Ausstellungen der Liberalen gegen
seinen Entwurf beruhten in der Hauptsache auf Mißverständnissen
und über die einzelnen Punkte wolle er, da er nicht eigenfinnig
sei, gern mit sich reden lassen. Aber mit dieser Verteidigung
richtet der Minister nicht das geringste aus. Aufs allerheftigste
wurde er namentlich von den Nationalliberalen angegriffen, und
nun beging er den Fehler, sich dadurch ebenfalls zu sehr schroffen
Antworten und persönlichen Spitzen, namentlich gegen den Abge-
ordneten v. Eynern, hinreißen zu lassen. Der Ministerpräsident
Graf Caprivi, der die Vorlage nicht als eine bloße Ressort-
angelegenheit des Kultusministers, sondern als eine allgemein
politische Aktion des Staatsministeriums betrachtete, wollte seinem
Kollegen zu Hilfe kommen. Aber er verfiel in denselben Fehler
wie dieser. Statt mit aller Anstrengung daran festzuhalten, daß
das Gesetz trotz des Entgegenkommens gegen die Wünsche des Zen-
trums doch keineswegs den verständigen liberalen Prinzipien etwas
Wesentliches vergebe und die Mittelparteien auf diese Weise möglichst
zu besänftigen und festzuhalten, nahm auch der Ministerpräsident
rücksichtslos den Kampf mit ihnen auf (29. Januar). Eben hatte in
Voraussicht der kommenden Konstellation der Abgeordnete v. Bennigsen
im Reichstage eine Gelegenheit benutzt, die innere Verwandtschaft
der nationalliberalen und der freisinnigen Partei zu betonen (22. Ja-
nuar) und hier eine Annäherung anzubahnen. Man sieht nicht,
warum Graf Caprivi damit unzufrieden war, da er ja selbst den
Freisinnigen in vieler Beziehung entgegengekommen war und sie an
die Regierung herangezogen hatte. Aber er sowohl wie Graf Zedlitz
zeigten sich dadurch gereizt und ließen es die Nationalliberalen ent-
gelten. Graf Caprivi hat wohl nicht so sehr die Absicht gehabt,
gegen die Liberalen besonders scharf zu werden, aber ein unglück-
licher Zufall brachte es mit sich, daß gerade seine Rede das Tafel-
tuch zwischen der Regierung und den Mittelparteien völlig zerschnitt.
In einer allgemeinen Auseinandersetzung darüber, daß die Volks-