338 Nebersicht der pelitischen Eutwichelung des Jahres 1892.
rissen worden, aber es ließ es sich doch weniger anfechten. Die
große Kunst der römischen Kirche ist von je die Tugend der Ge-
duld gewesen. Das Zentrum hatte auch die Volksschul-Vorlage
nur als eine Abschlagszahlung betrachtet, und beschloß nun einfach,
auf einen günstigeren Moment zu warten, in der Hoffnung, dann
vielleicht noch mehr zu erlangen. Man nahm eine Gelegenheit
wahr, seine Macht fühlen zu lassen, indem man eine Kreuzer-
Korvette, die man sich vorbehalten hatte, nunmehr im Reichstag
ablehnte, aber dem Grafen Caprivi, der ja an der Wendung keine
Schuld hatte, bewahrte das Zentrum doch nach wie vor seine
Sympathie. Die Konservativen aber waren in heller Verzweif-
lung. Der kirchlich-konfessionelle Charakter des Gesetzes hatte ihnen
zugesagt; die Gelegenheit, einmal mit dem Zentrum statt mit den
Mittelparteien zusammenzugehen, war vielen sehr willkommen ge-
wesen. Der alte Kartell-Gedanke war damit erdrosselt und be-
graben — nun hatte sich die neue Koalition, obgleich sie doch über
eine ganz sichere Mojorität gebot, als leistungsunfähig erwiesen: die
Monarchie hatte sie von sich gestoßen. Andere wieder, die noch den
Gedanken genährt hatten, im letzten Angenblick sich den alten Kartell-
genossen wieder zu nähern, waren durch den vorzeitigen Abbruch
des Werkes an der Durchführung dieser Idee verhindert und auf
diese Weise vor ihren Wählern und der öffentlichen Meinung in
ein falsches, ihnen höchst widerwärtiges Licht gebracht worden.
Selten hat eine große Partei eine schwerere Niederlage erlitten, und
als den, der sie ihr hauptsächlich eingetragen, sah sie ihren eigenen
Führer im Reichstag, den Vorsitzenden ihrer Parteiorganisation,
den Abgeordneten von Helldorff an. Von ihm glaubte man, daß
er hauptsächlich den Kaiser auf die Situation aufmerksam gemacht
und vor einer Politik gegen die Mittelparteien gewarnt habe.
Schon lange tobte bald offen, bald erstickt der Kampf zwischen den
beiden konservativen Richtungen, der klerikalen und der liberalen,
jene vor allem vertreten durch die „Kreuzzeitung“, während die
andere einer journalistischen Vertretung entbehrte und sich auf das
offizielle Parteiorgan, die „Konservative Korrespondenz“ und das
„Konservative Wochenblatt“ beschränken mußte. Hier antwortete
Herr von Helldorff auf die wütenden Angriffe der „Kreuzzeitung“