344 Mebersicht der pelitilchen Entwickelung des Jahres 1892. 
nismus, den besonders Liebknecht, der Revolutionär von 1848, in 
die Partei hineingebracht, ist dadurch wieder ein gutes Stück durch 
den Evolutionismus der Marx'schen Lehre verdrängt worden, oder 
wie der „Vorwärts“ sich in seiner charakteristischen Sprache bom- 
bastisch aber treffend ausdrückt, „die deutsche Sozialdemokratie ist 
dem Knabenalter der Phrase entwachsen und kämpft nun, statt in 
der Luft zu schweben, die keinen Haltepunkt bietet, auf der Erde 
den Kampf, setzt nun auf dem Felsen unerschütterlicher Thatsachen 
den Hebel an, mit welchem die Welt des Kapitalismus aus den 
Angeln gehoben wird“. Der holländische Delegierte bezeichnete 
dieselbe Veränderung der Situation mit den Worten: „Wenn man 
dem Endziel, der Besitzergreifung der Arbeitsmittel durch die Gesell- 
schaft immer zustrebt, an der Zerstörung des Kapitalismus und 
der sich auf ihn stützenden Klassen arbeitet, dann ist man Revolu- 
tionär. Ob dabei Gewalt gebraucht wird, thut nichts zur Sache. 
Das Ziel macht revolutionär, nicht die Mittel.“ Ohne dies Mittel 
der blutigen Gewalt schon im Prinzip völlig zu verwerfen, hat 
man sich doch entschlossen, es als nur letztes Auskunftsmittel immer 
mehr beiseite zu lassen und jetzt den Weg der allmählichen, un- 
blutigen Entwickelung durch Arbeit an den gegenwärtigen Aufgaben 
zu beschreiten. Die Folge war, daß die Tagesordnung des Kon- 
gresses nur praktische Themata zur Erörterung stellte, und daß diese 
Erörterung selbst und die durch sie gezeitigten Entschlüsse ganz aus- 
schließlich von nüchternster Rücksicht auf die thatsächliche Lage, die 
augenblicklichen Zeitverhältnisse, das unter den obwaltenden Um- 
ständen Erreichbare getragen waren. 
Und noch eine ganz auffällige Stimmung beherrschte während 
des ganzen Parteitages die Delegierten, ihnen selbst unbewußt; eine 
geheime Angst vor einer noch nicht erkannten Gefahr, die nur der 
objektive Beobachter sieht. Er sieht, wie neuerdings allmählich die 
verschiedenartigen Gedankenlinien, die bisher scheinbar unauflöslich 
in der sozialdemokratischen „Lehre“ zusammengeschweißt waren und 
die jedenfalls alle Parteigenossen als ein solches organisches Ganze 
in sich aufgesaugt hatten, allmählich auseinander zu laufen, die 
unnatürliche Verbindung zu lösen und in einem inneren Konflikt 
gegen einander zu treten beginnen. Diese unbewußte Angst kam