Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Mebersicht der politischen Eutwickelung des Jahres 1892. 347 
eidsbegünstigung von Gerichtsstelle aus angeschuldigt, so wird sie 
damit einfach vom allgemeinen, für alle Staatsangehörigen unter- 
schiedslos geltenden gleichen Rechtsstandpunkt abgedrängt, mit an- 
deren Worten rechtlos gemacht. Gegen jede solche Vergewaltigung 
zu protestieren und jeden solchen Versuch energisch zurückzuweisen 
und mit allen Mitteln zu vereiteln, ist die selbstverständliche Pflicht 
der Partei.“ 
In der Debatte über den Parlamentsbericht kam wieder eine 
Reihe von Anträgen zur Verlesung, die sich ebenfalls auffällig mit 
praktischen Einzelheiten beschäftigten: Neueinteilung der Reichstags- 
wahlkreise, Verstaatlichung der Apotheken, Einführung des Acht- 
stundentages, Revision der deutschen Vereinsgesetzgebung, der Preß- 
gesetze von Elsaß-Lothringen, Einführung obligatorischer Gewerbe- 
gerichte. Gleichwohl konnte auch auf diese rein konkreten Anträge 
Auer mit einer Rede antworten, die von souveränem Selbstbewußt- 
sein der Reichstagsfraktion strotzte, auch diese Anträge als „Zu- 
kunftsträume“ und „leeres Stroh“ bezeichnete, und die dennoch von 
den Delegierten ohne Murren hingenommen wurde. 
Ein Muster besonnener kluger Abwägung der augenblicklichen 
Umstände war auch die Rede eines gewissen Gerisch, sowie die von 
ihm beantragte Resolution und die sich daranschließende Debatte 
über die Maifeier von 1893. Bekanntlich hatte man 1889 auf dem 
internationalen Kongresse zu Paris den 1. Mai jedes Jahres als 
Arbeiterfeiertag der Welt proklamiert. Diese Proklamation schloß 
die Arbeitsruhe an diesem Tage als selbstverständlich ein. 1890 
machte man auch mit einigem Erfolge den Versuch dazu; schon 
1891 ging man auf Beschluß der Reichstagsfraktion davon ab und 
enthielt sich der Arbeit im allgemeinen nur da, wo es ohne Schaden 
der Beteiligten möglich war; einige Orte wie Hamburg ausge- 
nommen, wo man trotz der feindlichen Haltung der Unternehmer 
streikte und schwere gewerkschaftliche Kämpfe die Folge waren. 1892 
fiel der 1. Mai auf einen Sonntag, und die Frage entschied sich 
von selbst. Nun, angesichts der nahenden Maifeier von 1893, 
wurde die Sache von neuem brennend, verlangte sie für immer ihre 
definitive Entscheidung. Sollte man zu dem Pariser Beschluß im 
vollen Umfange zurückkehren oder seine eigenen Wege gehen, die
	        
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