Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Mebersicht der politischen Entwichelung des Jahres 1892. 359 
Verantwortung ein deutsches Landgericht in Weckelsdorf. Der 
tschechische Landsmannminister Prazak und der Landespräsident 
Winkler in Krain, ein eifriger Parteizeuge der Slovenen, wurden 
ihrer Aemter enthoben. Zu einem wirklichen Bündnis aber kam 
es nicht. Graf Taaffe wollte sich weder von den Feudalen, noch 
von den Klerikalen vollständig trennen. Die Jungtschechen demon- 
strierten in der leidenschaftlichsten Weise. Tschechische Turne#r machten 
sich auf zu dem französischen Turnfest nach Nancy, um dort mit 
den Franzosen zu fraternisieren und die flavischen Fahnen gegen 
Deutschland zu schwenken. Im Landtag brachten die Jungtschechen 
einen Antrag ein, die Krone zur Gewährung des böhmischen Staats- 
rechts aufzufordern; auch die Alttschechen wollten nicht zurückbleiben 
und brachten ein im tschechischen Sinne gehaltenes Sprachgesetz ein. 
In Prag trat eine Konferenz aller tschechischen Fraktionen aus 
Böhmen, Mähren und Schlesien zusammen, um ein gemeinsames 
Vorgehen gegen die Deutschen zu verabreden. Wohl teils unter 
diesem Drucke, teils nach den Prinzipien der altbewährten Taktik 
machte darauf Graf Taaffe wieder eine Wendung nach dieser Seite. 
Als der Führer der tschechischen Feudalen, Prinz Karl Schwarzen= 
berg, im Abgeordnetenhause den Ministerpräsidenten interpellierte, 
ob die Tschechen nicht bald wieder einen Landsmannminister erhalten 
würden, und dabei die böhmische Grundforderung einer selbständigen 
Stellung der Wenzelskrone ähnlich der Stephanskrone aussprach, 
da gab ihm Graf Taaffe eine sehr entgegenkommende Antwort 
(23. November). In Böhmen ging gleichzeitig der Statthalter 
Graf Thun mit der größten Schärfe gegen die deutsche Stadtver- 
tretung von Reichenberg vor, die er auflöste. Leidenschaftliche De- 
batten im Abgeordnetenhause folgten. Die deutsche Linke ging 
ostentativ zur Opposition über und verweigerte dem Ministerium 
den Dispositionsfonds, der auch wirklich abgelehnt wurde. Der 
Minister Graf Kuenburg reichte seine Demission ein, erhielt aber 
ganz der Taktik des Grafen Taaffe entsprechend, auch bei heftigstem 
Zwist nach keiner Seite die Brücke ganz abzubrechen, obgleich er 
vorher nur Landgerichtsrat gewesen war, die hohe Stellung eines 
Senatspräsidenten, und bald begannen auch wieder neue Verhand- 
lungen zwischen dem Ministerium und der deutschen Linken. So
	        
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