Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

48 Das Beensche Reich und seine einzelnen Elieder. (Zanuar 28.) 
Schulaufsicht und die Berücksichtigung der Muttersprache in dem Volksschul- 
unterricht. 
Meine Herren, ich glaube, ich habe in den ersten Tagen der Ver- 
handlungen über das Volkeschulgesetz keinen Zweifel darüber gelassen, wie 
ich zu der Durchführung der Schulaufsicht stehe. Ich kann mich darin dem 
anschließen, was der Herr Abgeordnete Graf Limburg-Stirum heute gesagt 
hat: Die Schulaufsicht ist ein staatliches Amt; der, welcher sie führt, führt 
sie im Auftrage des Staates. Damit ist gegeben, daß dieselben Grundsätze, 
welche für staatliche Beauftragungen und Beamtenstellung maßgebend sind, 
auch für diese Aufsicht maßgebend sein müssen. Demgemäß kann meines 
Erachtens die Forderung, die Schulaufsicht in allen Beziehungen und na- 
mentlich auch in der Kreisschulinspektion überall konfessionell zu gestalten, 
niemals gesetzliches Recht werden; sie ist auch thatsächlich gar nicht durch- 
führbar, und ich würde jedem der Herren Abgeordneten, der mich mit seinem 
Besuche beehren will, in dieser Beziehung aus den einzelnen Distrikten sofort 
nach statistischen Nachrichten zweifellos nachweisen können, daß diese For- 
derung in Preußen undurchführbar ist, ganz abgesehen davon, daß sie prin- 
zipiell für die Regierung — nach meiner Auffassung wenigstens — nicht 
acceptabel sein würde. Das schließt ja selbstverständlich nicht aus, daß man 
in vielen Fällen, wie dies auch jetzt schon immer geschehen ist, die Schule 
so gruppiert und unter solche Kreisschulinspektionen stellt, wie dies auch 
den konfessionellen Verhältnissen am meisten entspricht. 
Dann, meine Herren, der muttersprachliche Unterricht. Es ist nach 
meiner Ansicht ganz unmöglich, daß in Preußen eine Bestimmung in ein 
Gesetz aufsgenommen wird, welche ein Recht auf Erteilung des Unterrichts 
in der Muttersprache gibt — schon um deswillen nicht, weil es unvereinbar 
wäre mit unserem Hauptgrundsatz, daß wir in Deutschland national unge- 
teilt sind und zweitens deswegen nicht, weil nach den Verhältnissen unserer 
neueren Zeit die Vermischung der Nationalitäten und der Konfessionen so 
stark geworden ist, daß eine muttersprachliche Erteilung des Unterrichts in 
der Volksschule immer zur Verletzung einer anderen Nationalität führen 
müßte, — natürlich da, wo sie nicht in der deutschen Sprache geschieht, zur 
Verletzung der deutschen Nationalität, und ich glaube, keine Regierung kann 
das zugeben. Aber auch hier, meine Herren, sage ich, ist es sehr wohl 
möglich, wirkliche Bedürfnisse im einzelnen zu prüfen und auch zu berück- 
sichtigen, ganz besonders auf dem Gebiete des Religionsunterrichts. Ich 
scheue mich nicht, es hier auszusprechen, auch nach den Aeußerungen nicht, 
die der Herr Abgeordnete v. Eynern hier eben gethan hat; mir ist es durch- 
aus kein unfaßbarer Gedanke, daß man den Religionsunterricht in der 
Schule den Kindern in derjenigen Sprache erteilt, die die Kirchensprache 
ihrer Eltern ist. Ich würde darin keine Herabminderung des Einflusses des 
Staates erblicken; nur das kann nicht zugegeben werden, daß es überall 
geschieht, und daß es unter Verletzung der Interessen der deutschen Kinder 
irgendwo geschehen dürfte. 
Nun, meine Herren, muß ich mich, leider, wieder direkt an einen 
Herrn wenden, und das ist der Herr Abgeordnete v. Eynern; ich spreche 
lieber allgemein. Der Herr Abgeordnete v. Eynern hat seine Rede be- 
gonnen mit der Ausführung: „Meine Art ist nicht die des Herrn Ab- 
geordneten Richter“. Das erkenne ich an; aber er wird mir das Urteil 
gestatten, die Art des Herrn Abgeordneten Richter ist mir erheblich sympa- 
thischer. (Große Heiterkeit.) 
In dem Abgeordneten Richter steht mir ein prinzipieller, offener 
und energischer Gegner gegenüber; mit einem solchen Herrn, von dem ich 
die Ueberzeugung habe, daß er auch in mir die selbständige Auffassung 
 
	        
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