Das Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 29.) 57
so, als wenn wir uns nicht einigen können. Die Regierung hat den Mut,
sich von der Partei zu trennen, mit der sie gegangen ist, von der sie unter-
stützt worden ist; warum sollten wir denn nicht den Mut haben, wenn die
Ueberzeugungen der Parteien, die jetzt mit uns gehen, nicht mehr die unfrigen
find, auch von denen abzugehen?
Der Herr Abgeordnete v. Eynern hat dann gestreift und die Be-
sorgnis ausgesprochen, wie sich denn die gegenwärtige Regierung zu der
Jesuitenfrage stellen würde. Wie die verbündeten Regierungen sich zu dieser
Frage stellen werden, das vermag ich nicht im voraus zu sagen, aber ich
glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß die Königliche preußische
Regierung ihre Stimme gegen die Wiederzulassung der Jesuiten abgeben
wird, was ich hiermit zur Beruhigung nach dieser Richtung hin, soweit ich
es vermag, angeführt haben will.
Ich erkenne in dem, was gesprochen ist, um die große liberale Partei
einzuführen, auch das vollkommen an: es hat in der nationalliberalen Parteie
immer ein gewisser Idealismus gelegen, und das ist einer ihrer schönsten
Züge gewesen. Durch die Befestigung des Deutschen Reiches ist dieser
Idealismus, ich will nicht sagen, ziellos geworden, aber er kann nicht mehr
vertieft werden. Sie müßten jetzt eine nationalkonservative Partei werden,
wenn Sie Ihrem Nationalismus einen besonderen Ausdruck geben wollen.
Aber daß Sie das Bestreben haben, den Idealismus auf deutschem Boden
zu erhalten, das ist mir durchaus sympathisch, da kann ich mit Ihnen über-
einstimmen. Ich meine, wir sind krank daran, daß der Idealismus uns
verloren geht. Und wenn Sie durch das, was Sie jetzt in sich durchmachen,
zu einer stärkeren Betonung des Idealismus kommen, so wird das für die
gegenwärtige Regierung und speziell für mich aufs höchste erfreulich sein.
Wenn nun aber bei dem gegenwärtigen Gesetze Differenzen hervor-
getreten find, so glaube ich allerdings, daß diese Tcteerene ihren Grund
und ihre Wurzeln doch tiefer haben, als im allgemeinen angenommen wird;
und ich befinde mich in dieser Beziehung in vollkommener Uebereinstimmung
mit dem Herrn Abgeordneten Dr. Porsch. Ich glaube, es handelt sich hier
in letzter Instanz nicht um evangelisch und katholisch, sondern es handelt
sich um christlich und Atheismus. (Beifall rechts und im Zentrum — große
Unruhe links.) — Erlauben Sie mir, das weiter auszuführen. Ich bin,
wie ich neulich schon gesagt habe, der Meinung, daß eine Religion nicht
gelehrt werden kann ohne eine Konfession, und daß wir in Deutschland
nicht andere Konfessionen haben können, als die, welche uns einmal gegeben
sind. Jetzt aber macht sich eine Weltanschauung stärker und stärker geltend,
die im Gegensatze zu jeder Religion steht. Kein einziger von Ihnen teilt
sie, das weiß ich sehr gut, aber diese Weltanschauung ist da;z und wenn der
Herr Abgeordnete Virchow vorher die Berliner Schulen zitiert hat, so sollte
ich meinen, man würde auch in den Berliner Schulen Anzeichen finden
können, daß diese Weltanschauung weiter um sich greift. Und diese Welt-
anschauung ist eine atheistische, das kann ich nicht in Abrede stellen. Ich
bin cher- Meinung, an jedem Menschen ist das wesentlichste sein Verhältnis
zu Gott.
Das kann sich auf verschiedene Weise bewußt und unbewußt äußern.
Daß aber ein solches Verhältnis da ist, ist wünschenswert, und daß die
Volksschule darauf abzielen muß, den Menschen in ein Verhältnis zu Gott
zu setzen, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft.
Ich weiß bis jetzt nicht, wie das anders gemacht werden soll als
durch das Lehren der Religion; denn wenn selbst der beredteste Mund eines
Universitätslehrers eine Morallehre lehren wollte ohne christlichen Grund,
so würde ich mir wenig Erfolg bei Volksschulkindern versprechen.