Das NBeeische Reich und seine rinzelnen Glieder. (Januar 30.) 61
breiten Schichten unserer Nation die Religion herbekommen, wenn es sie
nicht aus der Volksschule bekommt?
Und, daß es Religion bekommt, ist, — darin weiß ich mich mit
Ihnen allen einverstanden — wünschenswert. Wenn ich 60 Kinder in der
Volksschule habe, und 59 behalten für das Leben von dem Religionsunter-
richt gar nichts, und dem sechzigsten ist es einmal in einer entscheidenden
Lage seines Lebens von Wert, sich zu erinnern, daß es einen Gott gibt,
dann will ich diese 59 Kinder gern in die Schule schicken; es ist das Opfer
wert für das eine. (Lebhaftes Bravo rechts und im Zentrum.)
Das ist meine persönliche Auffassung von der Sache, und die mag
mit Ihrer Auffassung (nach links) weit differieren. Sie können mir aber
doch nicht zumuten, daß ich meine Auffassung aufgebe, weil ich an dieser
Stelle stehe. Im Gegenteil, es ist meine Pflicht, meine persönliche Auffas-
sung, soweit es mit der Organisation unseres Staates und der Behörde in
Einklang steht, zur Geltung zu bringen.
Ich bitte nun, noch einen Augenblick mich mit dem Abgeordneten
Dr. Friedberg beschäftigen zu dürfen, nicht weil ich die Debatte nicht für
erschöpft hielte — gewiß, sie ist erschöpft — aber man hat sich gestern persönlich
an mich gewandt, und da möchte ich denn doch darauf etwas erwidern. Er hat
eine Reihe von Angriffen gegen mich gerichtet. Der schärfste war wohl der
daß er sagte: ich sage es offen — ich brauche ein scharfes Wort — das sind
vergiftete Pfeile, die prallen auf den zurück, der sie abschießt. Starke Worte
sind billig, am meisten im politischen Leben, aber gerade, weil ich den
Wunsch habe, objektiv zu bleiben, verzichte ich darauf, auf dieses starke Wort
mit andern starken Worten zu erwidern.
Ich werde mich bestreben ganz sachlich zu bleiben und mir den ver-
gisteten Pfeil näher anzusehen. Ich glaube: unter den Menschen und in
den Kreisen, in denen ich die Jahre meines Lebens bisher durchgemacht
habe, habe ich wenigstens nicht für einen Giftmischer gegolten, und ich bin
innerlich so fern davon, von mir zu glauben, ich könnte Gifte mischen, daß
es mir ganz recht sein würde, wenn die Pfeile, die ich abschieße, auf mich
wieder zurückfielen; vergiftet wären sie sicherlich nicht. Aber was habe ich
denn nun nach der Ansicht des Herrn Abgeordneten für Pfeile abgeschossen?
wohin sind sie gegangen? Der Herr Abgeordnete verwahrt sich dagegen,
daß die Staatsregierung die liberalen Parteien majorisieren wolle und führt
das dann noch des weiteren aus: „die Regierung wolle gegen den Willen
der Mittelparteien und der liberalen Parteien ein Gesetz zu stande bringen“.
Das nennt der Herr Abgeordnete majorisieren. Ja, haben denn die Mittel-
parteien, deren Unterstützung ich mir wünsche, ein verfassungsmäßiges Recht,
nicht durch Majoritäten überstimmt zu werden? — Ich weiß davon nichts.
Und liegt in dem, was der Herr Abgeordnete gesagt hat, und in dem, was
von anderen Seiten mir gesagt worden ist, nicht vielmehr das Bestreben,
die Staatsregierung zu majorisieren:? Nicht wir haben gedroht, meine
Herren, uns ist gedroht worden. Sie haben uns Ihrem Willen unterwerfen
wollen, dagegen wehren wir uns. Der Gedanke, Sie zu majorisieren, in
dem Sinne, Sie von Ihrer Ueberzeugung abschrecken zu wollen, liegt uns
fern. Wenn Sie aber überstimmt werden, so müssen Sie sich das gefallen
lassen. Ich glaube, die Verstimmung, die ich hier herausgehört habe, und
die mir leid thut — denn es hat der Staatsregierung nichts ferner gelegen,
als sich mit der nationalliberalen Partei bei diesem Anlaß, wenn ich den
Ausdruck gebrauchen darf, zu überwerfen — die Stimmung hat in etwas
anderem ihren Grund.
Sie haben durch Zurufe und Mitwirkung in der Presse der Regie-
rung den Vorwurf gemacht, sie hätte keine Voraussicht, weil sie nicht hätte