62 Das Veenische Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 30.)
kommen sehen, was jetzt hier vor sich geht; aber die Voraussicht hat sie doch,
daß das Schicksal dieses Gesetzentwurfes noch lange nicht entschieden ist. Ein
Gesetz von fast 200 Paragraphen wird so viel Widerspruch im einzelnen
herausfordern, daß ich heute noch nicht wissen kann, was aus dem Gesetz
wird. Erinnern Sie sich doch an das Geschick, welches Landgemeindeord-
nung und Einkommensteuer gehabt haben. Zuletzt wird ein Gesetz von einem
zum andern hin= und hergeschickt, vom Herrenhaus zum Abgeordnetenhaus.
Also, wie soll ich gewiß wissen können, was aus diesem Gesetz wird! Der
Grad von Voraussicht fehlt mir.
Es hat mir auch der Grad von Voraussicht gefehlt, rechtzeitig zu
erkennen, daß man sich mit dem Gedanken einer großen liberalen Partei
trägt. (Lebhafte Zurufe seitens der Nationalliberalen.) — Verzeihen Sie,
meine Herren, wollen Sie die Güte haben, mich ausreden zu lassen! —
Wenn Sie sich nicht mit jenem Gedanken tragen, so ist es mir ja ganz
willkommen! aber daß Sie es nicht thun, haben wir aus Ihren bisherigen
Aeußerungen, wenn ich einige Zwischenrufe von gestern ausnehme, nicht zu
erkennen vermocht.
Ich bitte um die Erlaubnis, aus einer Nummer des „Hannöverschen
Kuriers“, die nicht von gestern und heute ist, sondern älter, einen Passus
verlesen zu dürfen, der nach meinem Dafürhalten die Kriegserklärung der
Nationalliberalen an die Regierung enthielt und nicht umgekehrt. Es heißt
da: „Jetzt ist ein Moment gekommen, wo sich die nationalliberale Partei
in ihrer alten Größe zeigen kann, heißt es in einer Zuschrift, die ein treuer
Freund der Partei an uns richtete. Und wir sind überzeugt, daß die Partei
sich dieses für die Nation und für sie selbst entscheidungsvollen Augenblicks
gewachsen zeigt, daß sie den Erwartungen entsprechen wird, welche die libe-
ralen deutschen Männer ihr in diesem Augenblick entgegenbringen. Mit der
Vorlage dieses Schulgesetzes ist die Linie überschritten, jenseits welcher mit
Kompromissen und Amendements, mit Verhandlungen und Verständigungen
nichts mehr erreicht werden kann. Nicht um den einen oder anderen Para-
graphen handelt es sich, sondern um den dunkelmännischen Geist, der aus
dem ganzen Werke spricht. (Heiterkeit rechts.) Nur ein unbedingtes Nein
kann ihn verscheuchen, nur ein entschlossener Kampf kann es hindern, daß
die höchsten Güter der Nation, daß unsere kulturelle Entwickelung, daß die
Freiheit der Wissenschaft, daß deutsche Bildung und deutsche Schule unter
seinem erkältenden Hauche erstarren und verkümmern. (Heiterkeit rechts.) Es
war Licht geworden in Deutschland, sorgen wir, daß es Tag bleibe."“
Meine Herren, das ist geschrieben, ehe ich hier ein Wort über die Dinge
gesprochen habe. Sind wir es, die, wenn überhaupt von einem Kriege die
Rede sein kann, diesen Kriegszustand herbeigeführt haben? Ich glaube nicht.
Ich habe auch nicht Voraussicht genug, zu übersehen, welche Folgen
die Schöpfung einer so großen liberalen Partei haben kann oder der Wille,
sie zu schaffen. (Widerspruch bei den Nationalliberalen.) — Ja, ich bitte
um Entschuldigung, wenn ich über die Begrenzung dieses Hauses hinaus-
gehend anknüpfe an die Erinnerungen, die ich aus dem anderen Hause habe;
das, was da gesagt worden ist, habe ich nicht anders verstehen können.
Wollen Sie nun das negieren? Stimmen Sie nicht überein mit dem, was
im anderen Hause gesagt worden ist! Bitte, sprechen Sie es aus, wenn es
nicht der Fall ist! Bis jetzt habe ich nur in Zurufen und vielleicht in
einigen Anklängen der Presse gehört, daß eine Uebereinstimmung in der
nationalliberalen Partei in diesem Punkte nicht existiert.
Immerhin bleibt dieser Punkt interessant für die Regierung; es könnte
ja sein, es erfolgte eine zweite Sezession, durch die der Freisinn verstärkt
würde, so daß ein Häuflein übrig bliebe; es könnte auch sein, es erfolgte