66 Das Denische Reich und seine einzelnuen Glieder. (Januar 30.)
gesamte Königliche Staatsregierung hätten das Interesse gehabt, eine ge—
wisse Voraussicht in der Richtung zu üben, daß auch den Mittelparteien
und anderen Parteien eine Mitwirkung bei dieser Gesetzgebung im Sinne
positiver Beteiligung möglich ist.
Wenn der Herr Ministerpräsident heute in so versöhnlicher Weise
uns gegenüber gesprochen hat, so ist es auch meine Absicht nicht, einen
Mißton in die Worte hineinzubringen, die wir heute gehört haben. Ich
bescheide mich deshalb mit meinen Ausführungen und wiederhole nur, daß
ich gestern in der Einleitung meiner Rede dem entgegengetreten bin, was
ich als Legende bezeichnete, nämlich daß wir von vornherein geneigt gewesen
wären, diesem Entwurf eine Opposition bis aufs Messer zu machen. Wir
hatten gerade nach der Ankündigung der Vorlage durch den Herrn Kultus-
minister in diesem Hause uns der Hoffnung hingegeben, daß eine Amendie-
rung in unserem Sinne möglich sei, und der Herr Kultusminister hat uns
ausdrücklich zu einer solchen Amendierung aufgefordert. Die Hoffnung,
mitzuwirken, war uns erst abgeschnitten durch die Rede des Abgeordneten
v. Buch, die uns gezeigt hat, daß der Würfel nach einer anderen Richtung
gefallen ist. Meine Herren, Herr v. Buch oder die konservative Partei —
ich will nicht behaupten, daß Herr v. Buch es ausdrücklich gesagt hat, aber
andere haben es gesagt — z. B. heute der Abgeordnete Stöcker — be-
gründen diese Wendung der Dinge auf dieselbe Kombination, die der Herr
Ministerpräsident uns im Anfange seiner Rede vorgeführt hat. Ich wieder-
hole, diese Kombination ist vollkommen unbegründet; und ich muß an-
nehmen, daß nach meiner klaren und aufrichtigen Darlegung dieser Ver-
hältnisse jetzt jeder, der nochmals darauf zurückkommt, einen Vorwand
sucht, um das Nichtzusammengehen mit uns zu rechtfertigen. (Bravol bei
den Nationalliberalen.)
Ministerpräsident Graf v. Caprivi:
Ich weiß, daß das Schlußbedürfnis im Hause stark verbreitet ist,
und will von seiner Zeit keinen Mißbrauch machen; aber zwei Bemerkungen
mögen mir gestattet sein, die eine anknüpfend an die Rede des Herrn Ab-
geordneten Friedberg, der sagte, wenn ich ihn recht verstand: es wäre ein
Irrtum, wenn die Regierung glaubte, einmal mit einer großen Partei gehen
zu können und dann wieder gegen die große Partei. Ich bin nicht im
Parteileben aufgewachsen und habe vielleicht nicht das Verständnis für das,
was das Partetiünteresse verlangt; aber wenn der Zustand, den der Abgeord-
nete Dr. Friedberg anstrebt, ein dauernder sein sollte, so sind doch nur drei
Fälle möglich.
Entweder zwischen der Regierung und der Partei müßte ein dauern-
des Einverständnis sein, — ein Zustand, der in Preußen unwahrscheinlich
ist, da wir glücklicherweise keine Parlamentsministerien haben, sondern Mi-
nisterien, die Seine Majestät der König nach seinem Ermessen wählt.
Der zweite Fall wäre der, daß die Partei die Königliche Staats-
regierung in das Schlepptau nehme, ein Fall, gegen den ich mich schon
wiederholt verwahrt habe, und eine Annahme, die, so lange ich an dieser
Stelle zu stehen die Ehre habe, nicht zutreffen wird.
Oder aber, die Partei ließe sich von der Regierung ins Schlepptau
nehmen und ginge durch Dick und Dünn mit ihr — eine Zumutung, die
ich den Herren Nationalliberalen zu machen nicht wagen würde.
Zweitens will ich mich wenden gegen eine Bemerkung des Herrn Ab-
geordneten Rickert. Der Abgeordnete Rickert sagte, aus dem freundlichen
Tone, den ich heute angeschlagen hätte, habe er entnommen, daß ein ge-