Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achter Jahrgang. 1892. (33)

Das Denische Reihh und seine einzelnen Glieder. (März 26.) 79 
Pflichten als Ministerpräsident dahin gehabt, daß ich, wenn ein Minister 
eine Vorlage einbrachte, und das Staatsministerium sich mit ihm einver- 
standen erklärt hätte, der nächste dazu war, um hinter dem Ressortminister 
zu stehen. (Bravo! rechts und im Zentrum.) Ich habe die Ansicht gehabt, 
daß, wenn der Ministerpräsident in einer solchen Lage den Ressortminister 
fallen läßt, er dann im Staatsministerium überhaupt null wird; wenigstens 
mein an sich nicht großer Einfluß wäre null geworden, wenn meine Kollegen 
nicht die Ueberzeugung haben konnten: der Ministerpräsident wird, soweit 
es in seinen schwachen Kräften steht, hinter uns stehn. (Bravol rechts.) Ich 
bin von der Ansicht ausgegangen, daß die erste Pflicht des preußischen Mi- 
nisterpräsidenten die ist, auch mit seiner Person zu bezahlen. Es ist mir 
das sehr leicht geworden; denn bei keiner der Vorlagen habe ich mich von 
meiner eigenen Ueberzeugung zu trennen gebraucht. (Bravo! rechts und im 
Zentrum.) 
Ich glaube also, daß die Besorgnis, es könne das Reich zu Schaden 
kommen bei der Trennung, nicht vorliegt. Ich glaube vielmehr, daß in 
den Verhältnissen des Reichs eine wünschenswerte Stabilität dadurch herbei- 
geführt wird. Es kann weder der auswärtigen Politik noch der Reichs- 
politik dienen, wenn Abstimmungen in den preußischen Häusern, wenn eine 
schwierig werdende öffentliche Meinung in Preußen immer in letzter Per- 
spektive den Fall des Reichskanzlers zeigt. Es ist nicht Unbescheidenheit; 
ich bin aber der Meinung, daß es dem öffentlichen Interesse Deutschlands 
nicht dient, wenn die Stellung des Reichskanzlers häufig als unsicher 
erscheint. 
Nun hat der Herr Abgeordnete Richter gemeint, man könne dem ja 
abhelfen durch eine parlamentarische Regierung. Nun glaube ich nicht, daß 
der Abgeordnete das für Preußen im Ernst gesagt hat. (Heiterkeit.) 
Ich glaube, er weiß so gut wie ich, daß wir, Gott sei Dank, davon 
noch weit ab sind. Er hat aber für das Reich auch ein Auskunftsmittel, 
nämlich Reichsministerien. Nun frage ich, wer wohl hier ernstlich glaubt, 
daß zur Zeit Reichsministerien einzuführen wären. Es mag ja mancher 
hier sein, der es für wünschenswert hält — die verbündeten Regierungen 
halten es nicht für wünschenswert —; ob aber irgend jemand hier ist, der 
das jetzt für ausführbar hält, ohne den Bundesrat zu beseitigen, ohne unsere 
ganze Reichsverfassung auf den Kopf zu stellen, ist mir in hohem Grade 
zweifelhaft. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) 
Ich meine doch, daß wir gut thun werden, abzuwarten, wie die 
Dinge sich entwickeln, und ich meine, daß Deutschland doch zu fest steht, um 
durch eine solche Frage wie die, ob der Reichskanzler einen Teil seiner 
preußischen Aemter, den er selbst für unbedeutend hält, abgibt oder nicht, 
erschüttert zu werden. Ich bin der Meinung: Deutschland wird dies über- 
stehen und wird dadurch nicht verlieren, sondern eher gewinnen. (Lebhaftes 
Bravo rechts und im Zentrum.) 
In Erörterung der Debatte äußert Graf v. Ballestrem: 
Wenn die Umstände es mit sich brachten, daß der Reichskanzler auf 
seine Stellung in Preußen verzichten zu müssen glaubte, so will ich wenig- 
stens meine Freude darüber aussprechen, daß es diese seine Ueberzeugung 
nicht notwendig gemacht hat, auch auf sein Amt im Reich zu verzichten. 
(Bravo! im Zentrum.) Denn wir sehen mit großem Vertrauen auf die 
Person des Herrn Reichskanzlers und hoffen, daß er noch lange die An- 
gelegenheiten des Reichs in seiner starken Hand halten wird. (Lebhaftes 
Bravo im Zentrum.)
	        
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