Das Ventsche Reich und seine einzelven Glieder. (März 28.) 81
und preußischer Minister-Präsident mit ungleichem Maße Beamte des Staats
gegenüber verfahren zu haben. Ich glaube, der Vorwurf ist — man mag
die Sache selbst beurteilen, wie man will — von diesem Gesichtspunkt aus
ein ungerechter. Herr Graf von der Schulenburg kann unmöglich übersehen,
daß die Aeußerung, die er auf der einen Seite im Auge gehabt hat, im
Reichstage erfolgt ist, wo sie frei war von irgend welcher Verfolgung, daß
der Herr Reichskanzler daher nicht in der Lage war, wegen dieser Aeußerung
einzuschreiten. Die andere Sache aber hat der Herr Reichskanzler nicht als
solcher in Angriff genommen, sondern als preußischer Minister der auswär-
tigen Angelegenheiten.
Was ferner die Doppelstellung betrifft, die sich jetzt verwandelt hat
in die alleinige Stellung des Reichskanzlers, so glaube ich, daß die Befürch-
tung, es könne dadurch eine Lockerung in den Beziehungen des Reichs zu
Preußen eintreten, nicht zutrifft. Wenn der Herr Reichskanzler am Schluß
seiner Rede im Reichstag darauf hingedeutet hat, daß er für seine Stellung
auf die Beibehaltung des Präsidiums im Preußischen Staatsministerium
nicht das entscheidende Gewicht legte, so geht nach meiner Auffassung aus
seinen vorhergehenden Aeußerungen unzweifelhaft hervor, daß dies sich nur
auf das Aeußere der Stellung bezog, nicht aber bedeuten sollte, daß er nicht
ebenso wie Herr Graf von der Schulenburg der Meinung wäre, daß seine
Beziehungen zu Preußen der starke Unterbau wären, welchen er auch in
seiner jetzigen Stellung nicht aufzugeben geneigt sei. Dieser Auffassung bin
auch ich, und sind, wie ich gewiß bin, meine sämtlichen Herren Kollegen.
Wenn auch der Herr Reichskanzler nicht mehr den Vorsitz im preußischen
Staatsministerium führt, so bleibt er doch Mitglied desselben, und unsere
Beziehungen zum Reich werden durch diese Veränderung in keiner Weise
auch nur die geringste Aenderung erfahren. Wir wissen in Preußen recht
wohl, daß der enge Zusammenhang zwischen dem Reich und Preußen die
notwendige Grundbedingung für eine gedeihliche Entwickelung in Deutschland
ist, und jeder von uns wird nach Kräften dazu beitragen, daß hierin nie-
mals eine Aenderung eintritt, und auf diese Weise das Wohl des engeren
vie 1p weiteren Vaterlandes ebenso gefördert wird wie bisher. (Lebhaftes
ravol!
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Ich habe geglaubt, daß ich der Notwendigkeit über-
hoben sein würde, hier bei dem Etat heute noch das Wort zu ergreifen.
Ich halte es nicht für geboten und nicht für nützlich, unter den obwaltenden
Verhältnissen auf den Volksschulgesetzentwurf, der zurückgezogen ist, zurück-
zukommen. Er ist für die nächste Zeit beseitigt, und ich glaube, es ist pa-
triotischer, jetzt vorwärts zu sehen als rückwärts. (Bravol)
Meine Herren, es ist hier die Aeußerung gefallen, daß mit dem Zu-
rückziehen des Schulgesetzes der christlich-konservative Boden der Schulver-
waltung verlassen wird. Worauf sich diese Annahme gründet, ich muß sagen,
meine Herren, das ist mir vollständig unerfindlich. (Sehr richtigl) Denn,
meine Herren, der christlich-konservative Charakter der preußischen Unterrichts-
verwaltung und auch die Konfessionalität der Unterrichtsverwaltung und
ihre Grenzen, sie sind vorgezeichnet durch unsere Verfassung; und die Ver-
fassung wird für jeden Unterrichtsminister und jede Unterrichtsverwaltung
in Preußen die unveräußerliche und nicht zu verlassende Grundlage bleiben für
das, was in ihrem Ressort zu geschehen hat; selbstverständlich auch für mich.
Da aber diese Befürchtung hier ausgesprochen ist, so halte ich es doch für
richtig, mich auch hier offen darüber auszusprechen, wie ich zu dieser
Frage stehe.
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXIII. 6