Das Denische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 11.) 91
Umgekehrt ist der wohlhabende Landwirt ihr bester Abnehmer. Der beste
Absatz ist doch immer der an Inländer; die ganze Ausfuhr tritt gegen den
inländischen Absatz sehr zurück. Wir müssen ja den ausländischen Absatz
haben, aber wenn der inländische fehlte, so würde das noch schlimmer sein.
Die Erzeugnisse der Industrie nimmt eine prosperierende Landwirtschaft
bereitwillig auf. Viel näher liegt der Gedanke, daß der Handel im Gegen—
satz zur Produktion stände. Auch das halte ich für einen Irrtum, in den
nur diejenigen verfallen, die an der Oberfläche haften, und ich glaube, daß
die Kaufmannschaft eines armen, verarmten und besonders eines verarmen-
den Landes schlechter daran ist, als die eines reichen. Kaufleute in Eng-
land, Amerika und überhaupt in Ländern, die im Aufschwunge begriffen
sind, sind die gesegnetsten Leute. Dagegen wird eine Kaufmannschaft in
Ländern mit rückläufiger Entwickelung nicht nur eine Ueberzahl von un-
versorgten Kaufmannslehrlingen liefern, sondern auch später keine Millio-
näre. Die Millionäre werden heutzutage ja mit einer gewissen Bitterkeit
betrachtet; das ist nicht berechtigt, und ich glaube, wir wären alle, auch
die, welche es nicht sind, besser daran, wenn wir noch zehnmal mehr Millio-
näre hätten, als wir haben, wie es in England und Amerika der Fall ist.
Der reiche Mann behält ja sein Geld nicht, er gibt es aus, klug oder ver-
rückt, und von diesen Ausgaben leben viele andere Leute. Wenn wir keine
Leute hätten, die aus Ueberfluß ausgeben, so würden alle, die vom Luxus
leben, die Künstler, die Verfertiger von Modewaren, Konfektion u. s. w.
nicht existieren; wovon sollen sie leben, wenn jeder nur knapp hat, seinen
Hunger zu stillen? Es ist notwendig, daß es Leute und Familien gibt,
die auch für Luxus ausgeben können: Millionen leben davon. Schaffen
Sie den Luxus ab, so zerstören Sie eine Menge Existenzen. Schaffen Sie
den wohlhabenden Mann ab, der etwas mehr hat, als sich satt zu essen,
und überlegen Sie sich einmal, was für Produktionen, was für Gewerbe
und Industrien dann nichts mehr zu thun haben. Wenn alle Leute auf-
hören wollten, andere Ausgaben, als die für ihre einfache Ernährung zu
machen, müßten viele Gewerbe ausfallen. Deshalb, meine Herren, möchte
ich Ihnen empfehlen: halten wir alle zusammen, Produzenten jeder Art,
Industrielle, Handwerker, Landwirte, aber auch Kaufleute! Auch dem Kauf-
mann kann eine verarmende Landwirtschaft nicht helfen, er bleibt bei rück-
läufiger Flut auf dem trockenen Sande, mit kümmerlichen Erwerbsverhält-
nissen. Es ist mir erfreulich, auch einmal als Theoretiker vor sachkundigen
Leuten diese schwierigen Dinge zu besprechen; früher als Handelsminister
hatte ich mich damit amtlich zu beschäftigen, und ich bin außerordentlich
froh, daß ich nichts mehr damit zu thun habe. In der heutigen Welt ist
für mich kein Platz für amtliche Thätigkeit. Das aber hindert mich nicht,
bei Gelegenheit meine Meinung offen auszusprechen, selbst wenn ich dabei
im Sinne des alten Textes Prediger in der Wüste bleiben sollte. Aber
bei Ihnen fürchte ich das nicht; ich glaube, daß Sie mit mir einverstanden
sind. Ich hoffe, Sie beherzigen die Empfehlung zur Einigkeit zwischen
allen produktiven Ständen, die bei wachsender Wohlhabenheit der Bevöl=
kerung interessiert sind, für die es nicht gleichgültig ist, ob die Bevölkerung
arm oder wohlhabend ist.“
11. Juli. Der Direktor im Reichsamt des Innern, Nieber-
ding, wird zum Staatssekretär im Reichsjustizamt ernannt.
11. Juli. Der Großfürst-Thronfolger von Rußland
hält sich auf der Rückreise von England einige Stunden in Potsdam
zum Besuch beim Kaiser auf.