150 Bas Veutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 15. — Mitte.)
bereits in den einzelnen Zweigen der Volkswirtschaft Anzeichen hervor-
treten, welche auf eine wiedererwachende stärkere Nachfrage nach Erzeug-
nissen der Industrie und Gegenständen des Handels schließen lassen. Wenn
die Lage der Staatsfinanzen gegen bisher eine weniger günstige geworden
ist, so liegt der Grund hieran, abgesehen von dem Rückgange der Erträg-
nisse in einzelnen Staatsbetrieben, in der Hauptsache in der Verkettung der
Finanzwirtschaft des Reiches mit der der einzelnen Bundesstaaten und den
dadurch für letztere herbeigeführten Schwankungen in ihren Staatshaus-
halten. Da die längere Beibehaltung dieses Verhältnisses von den Bundes-
regierungen allseitig als unhaltbar erkannt und eine baldige Reform der
Reichsfinanzverwaltung als dringend nötig erachtet worden ist, so läßt sich
erhoffen, daß die darauf gerichteten gemeinsamen Bestrebungen in nicht zu
langer Zeit von Erfolg begleitet sein und damit auch die gegenwärtig schwer
empfundenen Störungen in unserem Staatshaushalt werden beseitigt werden.
Ungeachtet der Ungunst der Finanzlage hat sich indes noch die Möglichkeit
ergeben, ohne eine Erhöhung der Steuern das Gleichgewicht in demselben
herbeizuführen. Dabei ist es aber unthunlich gewesen, die Ueberweisung
eines Teiles der Einnahme aus der Grundsteuer an die Schulverbände ferner-
hin aufrecht zu erhalten. Um aber die wenig leistungsfähigen und wirklich
bedürftigen Schulgemeinden für diesen Ausfall der Einnahmen einigermaßen
entschädigen zu können, wird Ihnen Meine Regierung eine Erhöhung der
Etatssumme zu Beihilfen an unvermögende Schulgemeinden bei Aufbringung
des Schulbedarfs vorschlagen. Zu Abhilfe der Mißstände, welche sich im
Laufe der Jahre bei der gerichtlichen Aburteilung über die Entwendung
von Feld= und Gartenfrüchten herausgestellt haben, wird Ihnen von Meiner
Regierung ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden. Die weitere
Ausbildung und Verbesserung des Eisenbahn= und Verkehrswesens wird wie
bisher Gegenstand unausgesetzter Fürsorge Meiner Regierung sein. Die mit
Hilfe der von den vorigen Landtagen bewilligten Mittel angefangenen Er-
weiterungsbauten sollen weiter fortgesetzt, auch eine Reihe anderer dergleichen
Bauten, für welche sich ein dringendes Berkehrsbedürfnis gezeigt hat, aus-
geführt werden. Nicht minder hat sich für den Eisenbahnbetrieb die Be-
schaffung neuer Betriebsmittel als notwendig erwiesen. Auch soll auf die
Fortsetzung des Eisenbahnneubaues durch Herstellung einiger Sekundär-
bahnen Bedacht genommen werden. Wegen Bereitstellung der hierzu er-
forderlichen Mittel werden Ihnen von Meiner Regierung geeignete Vor-
schläge zugehen. So mögen denn die Verhandlungen auch dieses Landtags
zum Heil und Segen des Landes gereichen!“
15. November. In München wird die Vermählung des Erz-
herzogs Joseph August von Österreich mit der Prinzessin
Auguste von Bayern gefeiert.
Mitte November. In Kiel und anderen Orten finden sozial-
demokratische Versammlungen statt, die sich sehr scharf gegen
die Parteileitung und für die Gewerkschaftsbewegung aussprechen.
In Kiel äußert ein Redner:
„Wir wollen Vorteile schon heute von unseren Organisationen sehen
und müssen unser Hauptaugenmerk auf die Verbesserung der Gewerkschaften
richten. Auer und Bebel sind verpflichtet, für die Bewegung einzutreten.
Das arbeitende Volk kann nicht warten, bis die sozialdemokratische Partei
die Mehrheit im Reichstage hat, sondern muß früher berufen werden, das
System zu stürzen."“