158 Das Dentsche Reich und seine einzelnen GSlieder. (Nov. Ende.)
hat. Für die hier und da hervortretende Stimmung, daß die sozialdemo-
kratische Bewegung ihren Höhepunkt erreicht habe, fehlt es an thatsächlichen
Anhaltspunkten. Vielmehr läßt sich mit Sicherheit voraussehen und wird
durch Wahrnehmungen der jüngsten Zeit bestätigt, daß die Organisation
und Agitation in verstärktem Maße fortgesetzt und bis zu den entlegensten
Gegenden, sowie auf immer weitere Schichten der Gesellschaft ausgedehnt
wird. Daraus ergibt sich unabweislich die ernste Pflicht, nicht nur die
sozialdemokratische Bewegung aufmerksam zu verfolgen, sondern auch unaus-
gesetzt ihrem Umsichgreifen mit allen zulässigen Mitteln zu steuern und ins-
besondere die ländliche Bevölkerung vor ihrem Einfluß zu bewahren. Daß
diese Bestrebungen auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen und nicht überall
zu unmittelbaren Erfolgen führen werden, ist gewiß. Sie dürfen aber um
so weniger unterbleiben oder erlahmen, als der Kampf gegen die Sozial-
demokratie, sofern er in geeigneter Weise mit Umsicht und Thatkraft geführt
wird, keineswegs vergeblich ist. Dies ist auch bei den letzten Reichstags-
wahlen mehrfach hervorgetreten. In verschiedenen Gegenden, welche der
sozialdemokratischen Agitation besonders ausgesetzt waren, ist wenigstens ein
Ueberhandnehmen der sozialdemokratischen Bewegung verhütet worden, und
an einzelnen Orten, wo die Sozialdemokratie seit längerer Zeit Fuß gefaßt
hatte, ist es gelungen, ihre Vertreter bei den Wahlen zu verdrängen. Bei
der Bekämpfung der Sozialdemokratie darf zunächst der Ansicht nicht Raum
gegeben werden, daß es auf die Anwendung des gemeinen Rechts, weil ver-
meintlich wirkungslos, nicht ankomme. Es ist vielmehr darauf zu halten,
daß auf dem Gebiete der Presse, des Vereins= und Versammlungswesens,
sowie bei den Ruhestörungen und sonstigen Ausschreitungen von den gesetz-
lichen Befugnissen unverzüglich mit Entschiedenheit und nachhaltig Gebrauch
gemacht, insbesondere auch straffes, gerichtliches Einschreiten herbeigeführt
wird. Indem ich in dieser Hinsicht auf den Runderlaß vom 18. Juli 1890
—. II, 3546 — Bezug nehme, hebe ich hervor, daß, wenn Störungen der
öffentlichen Ruhe und Sicherheit eintreten oder ernstlich zu besorgen sind,
zu deren Beseitigung die vorhandenen polizeilichen Kräfte nicht ausreichen,
rechtzeitig für die Beschaffung von Hilfe zu sorgen ist. Reichen die den
Civilbehörden zur Verfügung stehenden Kräfte zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit nicht aus, so wird nach Maß-
gabe der bestehenden Vorschriften militärische Hilfe in Anspruch zu nehmen
oder je nach Umständen um Bereithaltung derselben zu ersuchen sein. In
erster Linie kommt jedoch die Heranziehung der Gendarmen in Betracht.
Die Bestimmungen, welche hierüber in den Runderlassen vom 18. April
1890 — II, 4560 — zunächst für den Fall des Ausbruches etwaiger Be-
wegungen unter den Arbeitern der Kohlenreviere und der sonstigen indu-
striellen Welt gegeben sind, können im wesentlichen auch auf Fälle ander-
weitiger Störungen der öffentlichen Ordnung, namentlich auf solche, welche
im Zusammenhange mit der sozialdemokratischen Bewegung stehen, An-
wendung finden, und wird dieserhalb noch besondere Verfügung ergehen.
Mit den staatlichen Machtmitteln allein, deren Anwendung überdies
dielfach gesetzlich beschränkt ist, läßt sich aber die Sozialdemokratie mit Er-
folg nicht bekämpfen. Gegenüber ihren verführerischen Lehren, ihrer rüh-
rigen und geschickten Propaganda muß der Versuch gemacht werden, auf
anderen Wegen und mit anderen Mitteln der Sozialdemokratie und ihrer
Agitation entgegenzuarbeiten, ihr Eindringen in bisher unberührte Gegenden
und Bevölkerungskreise zu verhindern und da, wo sie bereits eingedrungen
ist, ihr den Boden abzugraben.
Zu dieser Arbeit, deren Ziel die innerliche Ueberwindung der Sozial-
demokratie ist, bedarf es des Zusammenwirkens und der andauernden plan-